Exemplarische Materialien für das Singen im Altenheim
Drei Jahre lang konnte Bernhard König im Auftrag der Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung neue Formen des Musizierens mit alten Menschen entwickeln. Dazu gehörten auch regelmäßige Ortstermine im Stuttgarter Generationenzentrum Sonnenberg. Hier versuchte Bernhard König, Konzepte zu entwickeln, die sich mit einfachen Mitteln im normalen Altenheim-Alltag realisieren lassen.
Entstanden sind dabei eine ganze Reihe von einfachen Musikspielen, Improvisationsmodellen, Gesprächsimpulsen und neuen Textierungen, die stets an bekannte Volkslieder oder alte Schlager anknüpfen und – ausgehend vom Vertrauten – neue musikalische Erfahrungen eröffnen.
Diese Konzepte und Variationen werden auf dieser Seite nach und nach frei zugänglich gemacht - Fortsetzung folgt.
Zwischen den drei Strophen wird die Melodie als "Zwischenspiel" ein weiteres Mal gesungen, diesmal aber ohne Text, nur auf einem Vokal. Dabei wird jeweils ein atmosphärischer Begriff aus der vorangegangenen Strophe aufgegriffen und musikalisch dargestellt.
Am Brunnen vor dem Tore,
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Zwischenspiel nach der ersten Strophe: Melodie auf „U“ mit einer hohen, geheimnisvollen „Traumstimme“.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh!
Zwischenspiel nach der zweiten Strophe: Melodie auf „o“, mit einer gruseligen „Gespensterstimme“, das unheimliche Motiv des „sprechenden Baumes“ aufgreifend.
Die kalten Winde bliesen
Mir grad in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
Und immer hör ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!
Nachspiel nach der dritten Strophe: "Gehaucht", ohne oder fast ohne Stimme, nur mit eingefärbten Luftgeräuschen, wie das Rauschen des Windes (die Lippen dabei aber nicht spitzen – also kein Pfeifen.)
In einer Version für „Fortgeschrittene“ (besonders geeignet für eine musikalische Begegnung mit Kindern, z.B. Besuch einer Schulklasse oder Kindergartengruppe) können diese Intermezzi weiter ausgeschmückt werden.
Zum Beispiel: Diverse Einwürfe von Gespensterstimmen und Hexengelächter in Strophe zwei oder ein kleines „Wind-und-Sturm-Hörspiel“ in Strophe drei.
Die „klassische“ Version dieses Kinderliedes sieht vor, dass ab Strophe 2 einzelne Wörter (Wanze...) weggelassen werden. In Erweiterung dazu kann stattdessen ein Geräusch eingesetzt werden, das jeweils als Platzhalter für ein bestimmtes Wort fungiert.
Zum Beispiel:
Wanze = krk (Knacken mit der Kehle)
Tanzen = hoher Pfiff
Mauer = Bumm! (mit tiefer Stimme)
usw.
Je mehr Strophen gesungen werden, desto mehr sind sie mit Geräuschen durchsetzt – Stimmakrobatik und Gedächtnistraining zugleich:
Auf der (Bumm!), auf der (Doioing) sitzt ne kleine (Krrrk). Seht euch nur die (Krk) an, wie die (Krk) (Pfiff) kann...
Wie gern ich einst gewandert bin,
gewandert bin.
Heut macht mir Mühe jeder Schritt,
die Beine machen nicht mehr mit
drum lasse ich das Wandern sein,
das Wandern sein.
Doch in Gedanken wand’re ich,
da wand’re ich.
Durch Berg und Tal, durch Zeit und Raum
erfüll mir jeden Lebenstraum:
Mein Wandern, das ist grenzenlos,
ist grenzenlos.
Ne Wohnung und ein Garten
die waren beide mein, ja mein
die Wohnung ward vermietet,
dem der am meisten bietet,
die Wohnung ward vermietet
der Garten platt gemacht.
Heidi, heido, heida…
Der Pfarrer und der Doktor,
die rufen laut: O jemine!
Der Pfarrer, wenn ich beichte,
der Arzt, wenn ich nur vor ihm steh
und wie er erst erbleichte
vor meinem Röntgenbild…!
Heidi, heido, heida…
Ach Gott, und mein Gedächtnis,
ist löchrig wie ein Sieb, ein Sieb.
Doch das hat auch sein Gutes:
Wenn jemand mir zu viel erzählen will,
dann denk ich mir: Was tut es?!
Vergess ich’s halt ganz schnell!
Das Lied entstand im Rahmen meiner regelmäßigen Besuche im Hospiz Stuttgart. Ich stellte dort fest, dass die Hospizbewegung - zumindest hierzulande - bislang noch kein eigenes Lied hat.
Variation 1: Zwischen den gesungenen Strophen wird jeweils ein Durchgang von allen - oder auch von wechselnden Solisten - gepfiffen.
Variation 2: Das "Abwerfen der Sorgen" und das "Fangen des Sonnenscheins" wird pantomimisch mitgespielt.
Kein schöner Land in dieser Zeit - multikulturell
In Altenheimen finden sich zunehmend auch Migranten, etwa der ersten Gastarbeitergeneration. Das Thema „Heimatlieder“ beinhaltet ein großes Potential, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Zu diesen Liedern zählt auch "Kein schöner Land" – für viele deutsche Senioren der Inbegriff eines „Heimatliedes“. Zwischen den Zeilen beinhaltet dieses Lied eine gewisse „Abwertung“ anderer Länder oder Landstriche: Es gebe, behauptet es, „kein schöneres Land“ als das unsrige. Nachfolgend deshalb drei Übersetzungen der ersten Strophe von „Kein schöner Land“ ins italienische, türkische und russische.
Leider war es mir aus technischen Gründen nicht möglich, die korrekte Schreibweise der türkischen und kyrillischen Buchstaben in mein Notenschreibprogramm zu übertragen – aus diesem Grund findet sich im pdf-Download der Noten nur eine Lautschrift der türkischen und der russischen Version.
Italienisch:
Non c'è paese bello piu,
che non li nostro su e giu,
dove la sera sott'il tiglio ci troviamo tutt'in siem'
dove la sera sott'il tiglio ci troviamo tutt'in siem'.
Türkisch:
hiç bir ül | ke bu ka- | dar
iyi ve | refah ola | maz
ak şam | la rı ıh la | mur lar al tın | da
gü ven de | his set ti | ğimiz bu ülke | de.
Russisch:
Нет страны прекрасней этой,
Во все века, на целом свете
Где мы под липами так часто
вечерoм делили счастье.
Lautschrift russisch:
Njet strani prekrasnej etoj,
wo wse weka, na tselom swete.
Gde mi pod lipami tak tschasto
Wetscherom delili schastje.
Einige traditionelle Kinderlieder zeichnen sich durch eine besondere "kreative Note" oder ein spielerisches Element aus: Man kann sie selber variieren oder weiterspinnen. Für Begegnungen von Senioren und Kindern, aber auch für das Singen nur mit Senioren sind diese Lieder erfahrungsgemäß besonders geeeignet - besonders, wenn man das im jeweiligen Lied enthaltene "Spiel-Prinzip" kreativ weiterentwickelt:
Der Kuckuck und der Esel (Die Anwesenden werden in zwei Gruppen eingeteilt: "Kuckuck" und "ii-aaah". Diese beiden Gruppen liefern sich - mit wechselnden Dirigenten - ein "Tierstimmen-Duell".)
Dornröschen war ein schönes Kind (Die einzelnen Strophen als solistische Pantomime mitspielen.)
Drei Chinesen mit dem Kontrabass (auch ungewöhnliche Vokalkombinationen: oi - au - iö...)
Jetzt fahr'n wir übern See (lange, lauernde Pause, in die niemand hineinsingen darf)
Laurenzia, liebe Laurenzia mein (Wochentage werden solistisch gesungen, wandern im Kreis)
Liebeslieder und Liebesgeschichten: Gesungen und erzählt
Die anwesenden Altenheimbewohner singen gemeinsam alte "Liebes-Schlager" und andere Liebeslieder - beispielsweise Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt (Text / Musik) - und erzählen im Wechsel dazu ihre eigene, persönliche Liebesgeschichte. Bei einer multikulturellen Bewohnerschaft sollten natürlich auch fremdsprachige Liebeslieder berücksichtigt werden.
Zu diesem Zweck können im Rahmen eines ersten Treffens zunächst die Liedtitel gesammelt werden. Für ein zweites Treffen sucht der oder die Gruppenleiter/in dann nach einer Online-Quelle für das betreffende Lied, die als Impuls für ein solistisches oder gemeinsames Singen verwendet werden kann.
Die Kombination aus gesungenen Liebesliedern und erzählten Liebesgeschichten kann zu einer regelrechten kleinen Performance erweitert und geprobt werden, die dann beispielsweise im Rahmen eines Altenheim-Festes aufgeführt werden kann.
Als exemplarische Anregung ein Beispiel aus dem Projekt "Alte Stimmen":
Ein schöner alter Tonfilm-Schlager, der erfahrungsgemäß sehr das Lebensgefühl vieler Altenheimbewohner/innen trifft und gut als Gesprächsimpuls geeignet ist.
Weitere Lieder, die sich ebenfalls als Gesprächsimpulse eigenen: "Aus der Jugendzeit" - "Die Gedanken sind frei" - "Für mich solls rote Rosen regnen" - "Hab mein Wagen voll geladen" (Thema Altersdiskriminierung) - "Kauf dir einen bunten Luftballon" - "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn" - "Lili Marleen" - "Schön ist die Jugend" - "Weißt du wieviel Sternlein stehen" - "When im sixty four" - "Yesterday".
Sehr gut sind auch verschiedene Chansons von Otto Reuter geeignet:
"Nehm Se 'n Alten" - "Ich kann det Tempo nicht vertragen" - "Sei modern!"
Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist? (Refrain)
Vom Lied "Was kann der Sigismund.." wird mehrfach der Refrain gesungen und dabei textlich variiert: Anstelle des Namens „Sigismund“ werden reihum die Vornamen der anwesenden Senioren eingesetzt. Bei abweichender Silbenzahl können zusätzliche Füllwörter eingesetzt werden: „Was kann die Margret denn dafür, dass sie so schön ist?“.
Die Zeile „... ist nun mal ein süßer Kavalier“ kann bei den Frauen ersetzt werden durch „... ist nun mal ’ne wunderbare Frau“. Auch der Charakter des Gesangs kann nach Belieben mit jeder Variation verändert werden - passend zum Charakter der jeweils besungenen Person.
Saßen einst fünf alte Frauen,
reich an Wissen, reich an Rat.
Sing, sing, was geschah?
Keiner hat sie gefraget.
Sing, sing, was geschah?
Keiner hat sie gefragt.
Waren einst fünf alte Männer,
prallvoll mit Erinnerung.
Sing, sing, was geschah?
Keiner hat sie gehöret.
Sing, sing, was geschah?
Keiner hat sie gehört.
So viel Schätze, so viel Reichtum,
so viel Lebensmelodie.
Sing, sing, sing sie mit,
lass sie doch nicht verstummen!
Sing, sing, sing sie mit
dann klingt sie noch lange nach.