1990 hatte ich für meine erste größere Arbeit bei Mauricio Kagel an der Kölner Musikhochschule, das kabarettistische Musiktheater TALK, eine bunte Truppe aus DarstellerInen und MusikerInnen zusammengestellt. Im Lauf der Probenarbeit traten immer neue Begabungen zu Tage: Ein jonglierender Cellist, ein Jazzsänger mit eigenem Kabarett-Programm, ein Gitarrist, der auch die Kunst der Pantomime beherrschte – ganz zu schweigen von den Multitalenten aus der Kölner Rhythmikklasse, die gleichermaßen als Sängerinnen, Sprecherinnen und Bewegungsdarstellerinnen einsetzbar waren.
Ich begann, von einem „Neue-Musik-Wanderzirkus“ zu träumen und schon bald beschlossen Ulrich Wagner – Kompositions- und Dirigierstudent im gleichen Semester – und ich, in den Semesterferien mit diesem Ensemble auf Tournee zu gehen. Um Fördermittel zu beantragen und einen Ankündigungsflyer zu schreiben, musste ein Name her. Mich hatte von Beginn meines Studiums an der Name jener Straße fasziniert, die die Musikhochschule säumte: „Unter Krahnenbäumen“. Vom Wortklang her poetisch und geheimnisvoll, galt er uns Musikhochschülern als Inbegriff der musikalischen Hochkultur, alteingesessenen Kölnern hingegen als Synonym für das einstige Rotlichviertel.
Auf Konzertreise ging unsere Krahnenbaum Company dann tatsächlich, doch unsere hochfliegenden Träume von der großen Deutschlandtournee schrumpften auf einige wenige Gastauftritte rund um unsere einstigen Heimatorte Bad Vilbel und Bensheim. Der Euphorie unseres Ensembles tat der eher provinzielle Tourneeplan keinen Abbruch – die meisten Beteiligten dürften diese kleine Reise (plus zwei weitere TALK-Gastspiele in Berlin und Den Haag) wohl als eine „legendäre“ und prägende Zeit in Erinnerung behalten haben.
Später verlief die „Wanderzirkus“-Idee im Sande; nur noch einmal griff ich sie für das Stummfilm-Varieté „Sensationelle Licht=Schau=Spiele“ auf. Das Lable „Krahnenbaum Company“ verselbstständigte sich, geisterte noch eine Weile durch die Kölner Musikszene und scheint sich irgendwann gegen Mitte der Nuller Jahre endgültig verflüchtigt zu haben.
Die „Urbesetzung“ der Krahnenbaum Company:
Gerhard Arth – Klarinetten
Christoph Hamborg – Posaune, Tuba
Tono Hamsen – Darsteller, Tangotänzer
Korinna Kamarinea – Flöten
Gabriele Kancachian – Viola
Bettina Klinkig – Lichtregie, Organisation
Harald Klugt – Schlagzeug
Bernhard König – Klavier, Inszenierung, Kontrabass
Klaus König – Technische Assistenz
Wilk Krüger – Bühnenbild, Technik
André Lyson – Pantomime, Banjo, Klarinette, Darsteller
Claus Martin – Inszenierung, Technik
Gabriele Moes – Tangotänzerin, Darstellerin, Violine, Cembalo
Konstanze Niemöller – Darstellerin, Gesang
Holger Peters – Violoncello, Jongleur
Astrid Rempel – Darstellerin, Gesang
Hansjörg Schall – Darsteller, Conférencier, Akkordeon
Sabine da Sousa-Correa – Violine
Igor Storoshenko – Oboe, Englischhorn
Ulrich Wagner – Dirigent, Organisation
Martina Winter - Sopran
Gemeinsame Projekte mit der Krahnenbaum Company Köln
Innerhalb meiner eigenen beruflichen Entwicklung markiert die Begegnung mit Matthias Gräßlin eine wichtige Grenzlinie: Er ist mein letzter künstlerisch prägender Lehrer und zugleich mein erster langjähriger Kollege. Bereits unsere erste Zusammenarbeit konfrontierte mich mit einer Arbeitsweise, die mir bis dahin gänzlich unbekannt gewesen war: Das Handwerkszeug der Theaterpädagogik und des prozessualen, dialogischen Arbeitens. In den folgenden Jahren begann ich (anfangs durchaus widerstrebend, gegen manche eigenen, inneren Widerstände) diese Arbeitsweise von ihm zu erlernen, zu verinnerlichen und auf mein eigenes Metier zu übertragen. Aber anders als bei Mauricio Kagel und Claus Kühnl gab es zwischen Matthias und mir nie ein explizites Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern ein gänzlich informelles „Learning by doing“.
2008 verfassten Matthias Gräßlin und ich einen Text, der diesen Lernprozess in jener Form beschreibt, die unserer langjährigen Arbeitsbeziehung angemessen ist: als Dialog. Der Text entstand zum 25jährigen Jubiläum der Bielefelder „Theaterwerkstatt Bethel“, die Matthias Gräßlin seit 1994 leitet:
Ich bin kein Sänger, hatte nie Gesangsunterricht und stoße sowohl technisch als auch stimmlich schnell an meine Grenzen. In meiner Arbeit, in der die Stimme häufig eine zentrale Rolle spielt, wäre das ein echtes Problem – wenn Alexandra Naumann nicht wäre. Über die Jahre hinweg ist sie fast so etwas wie „die Stimme meiner Musik“ geworden. Ihre vokale Wandlungsfähigkeit und ihr stimmliches Einfühlungsvermögen macht sie zu einer idealen künstlerischen Partnerin.
Mitunter nimmt diese Einfühlung atemberaubende, fast schon beängstigende Züge an. 2007 arbeiteten wir mit einem geistig behinderten Sänger zusammen, der eine besondere Begabung für aberwitzige Vokalimprovisationen hatte: virtuose Abfolgen von Geräuschen, Gesang und Textbruchstücken, die völlig unvorhersehbar aus ihm heraussprudelten. Alexandra Naumann gelang das Kunststück, mit ihm ein Duett in lupenreiner Synchronität zu singen: Quasi „einstimmig“ im Oktavabstand. Obwohl man nie wissen konnte, was ihm als nächstes in den Sinn kommen würde, waren die beiden immer exakt zusammen.
Meine erste Begegnung mit Ortrud Kegel begann (wie sollte es anders sein) mit einem Lachen. Ich sah sie auf der Bühne, in einem herrlich schrägen musiktheatralischen Sketch ihres Ensembles „Partita Radicale“ und war begeistert vom skurrilen Humor dieser Musikerinnen und Musiker. Da ich zur damaligen Zeit für meine eigenen Stücke stets auf der Suche nach aufgeschlossenen und experimentierfreudigen Musikerinnen und Musikern war, dauerte es nicht lange bis zu unserer ersten Zusammenarbeit.
Viele solcher Studienkontakte verflüchtigten sich später – der zu Ortrud Kegel blieb bestehen: Als das Büro für Konzerpädagogik seit Ende der neunziger Jahre allmählich mehr Aufträge zu akquirieren begann, als unser dreiköpfiges Kernteam aus eigener Kraft zu erfüllen vermochte, wurde Ortrud alsbald zu unserer zuverlässigsten „Allzweckwaffe“ in Schulprojekten, Lehrerworkshops oder Fortbildungen für Orchestermusiker.
Da sich unsere Arbeitsweise in solchen Kontexten stark ähnelt, haben wir in der Praxis eher selten zusammengearbeitet. Wann immer wir es tun, ändert sich – neben allen fachlichen Impulsen, neuen Einfällen, neuen Übungen und Spielen – ganz nebenbei auch die Arbeitsatmosphäre. Offenbar neige ich selbst in meiner Arbeit ein wenig zur Verbissenheit: Mit Ortrud Kegel im Team jedenfalls wird signifikant mehr gelacht.
Jane Dunker und ich waren Nachbarn im gleichen Kölner Vorort, als wir beide etwa zeitgleich unsere ersten freiberuflichen Gehversuche unternahmen. Ganz gewiss wäre ich zur damaligen Zeit ohne diese Zufallsbegegnung nicht auf den Gedanken verfallen, gezielt die Zusammenarbeit mit einer Fotografin zu suchen. Doch schon unsere erste größere Zusammenarbeit führte mir eindrucksvoll vor Augen, in welchem Maße Janes Anwesenheit über die Fortexistenz meiner Arbeit entscheiden konnte: Andere Komponisten haben ein wachsendes Oeuvre an Partituren und Tonträgern. Meine Arbeit begann damals einen zunehmend flüchtigen Aggregatzustand anzunehmen. Das, was an ihr wirklich wichtig war (und das waren meist nicht die Töne) existierte nur im jeweiligen Hier und Jetzt – und in Janes Fotos.
Ihre Präsenz in meiner Arbeit seit 1997 ist fast lückenlos – stetig, aber nie statisch. Mal stieß sie als reine Dokumentaristin für einige wenige Tage oder Stunden zu einem Projekt hinzu, mal entwickelte sie aus diesen Begegnungen eigene Ausstellungen oder Bücher, für die ich dann wieder die Begleittexte beisteuern durfte. Seit 2009 ist unsere Zusammenarbeit in eine neue Phase getreten: Das Projekt Deutsche Weisen haben wir von Anfang an gemeinsam konzipiert und durchgeführt; Janes und meine Arbeit sind hier untrennbar miteinander verwoben.
Viele von denen, die einst zeitgleich mit mir Komposition studierten, sind später in andere Berufe gewechselt. Dass ich mich fast zwei Jahrzehnte nach Ende meines Studiums noch immer „Komponist“ nennen darf, habe ich vielleicht am meisten Anke Eberwein und hans w. koch zu verdanken.
Unsere gemeinsame Unternehmensidee „Büro für Konzertpädagogik“ fiel für mich in eine schwierige Phase der beruflichen Orientierungssuche und wirtschaftlichen Unsicherheit. Mit unserer Unternehmensgründung war ein doppelter Grundstein gelegt: Ökonomisch als zunehmend stabile Basis für eine berufliche Selbstständigkeit und inhaltlich als Wegweiser für meine eigene künstlerische Weiterentwicklung.
Musiklehrerin und Ensembleleiterin. Zusammenarbeit seit 1999
Als ich 1995 begann, mich – zunächst vor allem forschend und recherchierend – mit dem Thema „Neue Musik in der Schule“ zu beschäftigen, stieß ich schnell auf die Grünstädter „AG Neue Musik“. Ich pilgerte zu einem ihrer legendären Konzerte, hoffte, hier einen wichtigen Kontakt knüpfen zu können – und war maßlos enttäuscht, als ich erfuhr, dass just dieser Auftritt den Abschied des langjährigen AG-Leiters Manfred Peters markierte.
Das Ende der „Ära Peters“ war, wie sich bald zeigen sollte, kein Ende, sondern bloß eine Zäsur, die für mich persönlich einen besonderen Glücksfall darstellte. Als Vertreter(in) der gleichen Gerenation waren die neue Leiterin Silke Egeler-Wittmann und ich sofort auf einer Wellenlänge. Was diese Zusammenarbeit so fruchtbar (und Silke innerhalb ihres Berufsstandes so einzigartig) machte, war das völlige Fehlen jeglicher Denkverbote:Einige der abenteuerlichsten und verrücktesten Projekte meines Berufslebens entstanden als "Schnapsidee“ an ihrem Küchentisch. Gäbe es doch nur mehr solcher Lehrerinnen und Lehrer...!
Christian Zech ist – gemessen an der Dauer unserer Zusammenarbeit – der mit Abstand „jüngste“ unter den hier aufgeführten Kollegen und Weggefährten.
Ich lernte ihn 2006 kennen und habe ihm seither mehrfach entscheidende Weichenstellungen zu verdanken. Ohne sein unermüdliches Engagement als Netzwerker und Anstifter gäbe es keine „Alten Stimmen“ und kein „Trimum“. Auch die hier vorliegende Homepage würde in dieser Gestalt nicht existieren: Wie so vieles andere verdanke ich Christian Zech auch den Kontakt zu Klaus Görmar, dem Webmaster dieser Seite.
Auch wenn wir uns verhältnismäßig spät begegneten, war mir sein Name schon seit Mitte der Neunziger ein Begriff. Ich recherchierte damals in ganz Deutschland zu den bestehenden Aktivitäten im Bereich „Neue Musik und Schule“ (ein damals noch recht übersichtliches Terrain). Im Archiv des Frankfurter „Ensemble Modern“ stieß ich auf ein umfangreiches Dossier zum Verlauf des ersten deutschen Response-Projektes, das fortan zur Blaupause für viele Aktivitäten unseres wenig später gegründeten „Büros für Konzertpädagogik“ wurde. Der Autor dieses Dossiers: Christian Zech.
Dokumentarfilmerin und Regisseurin. Zusammenarbeit 2012/13
Eine besondere Crux meiner prozessorientierten Arbeitsweise besteht darin, dass sie wenig vorzeigbare, bleibende Produkte abwirft. Gemessen am Oeuvre anderer komponierender Kolleginnen und Kollegen habe ich bislang wenig „Bleibendes“ in Form von Tonträgern oder Partituren hervorgebracht. Öffentlichen Aufführungen zeigen häufig nur die „Spitze des Eisbergs“ und verpuffen sehr schnell – ohne die Fotos von Jane Dunker und den Accompagnato-Film von Alex Müller wäre die Arbeit zweier Jahrzehnte praktisch nur noch in Texten und Erinnerungen existent. Für einen Tänzer oder eine Performancekünsterin ist solche Flüchtigkeit Normalität – für einen Komponisten schafft sie ein echtes Legitimationsproblem: Was treibst du da überhaupt in all diesen Projekten? Warum nennst du dich „Komponist“, wo du doch kaum Noten schreibst und eigentlich bloß ein Pädagoge bist?
Irene Langemanns Dokumentarfilm „Das Lied des Lebens“ hat dem nicht-öffentlichen Teil meiner Arbeit einen regelrechten Quantensprung an Aufmerksamkeit und – was noch sehr viel wichtiger ist – an Kommunizierbarkeit und Verständnis eingebracht. Unsere Zusammenarbeit begann mit einer „Blindbewerbung“ meinerseits: Ich kannte und schätzte Langemanns Filme und sie erschien mir als eine überdurchschnittlich musikalische Regisseurin. Per Mail wies ich sie auf das mehrjährige künstlerische Forschungsprojekt Alte Stimmen hin, das in besonderem Maße in der „Nicht-Öffentlichkeit“ zu verschwinden drohte. Irene Langemann und ihr Produzent und Ehemann Wolfgang Bergmann griffen zu – und ließen sich auf ein Projekt mit zunächst völlig offenem Ausgang und hohem finanziellen Eigenrisiko ein.
Die von mir vermutete Musikalität sollte sich im Verlauf dieser Zusammenarbeit mehr als bewahrheiten – ich begegnete ihr in zweifacher Hinsicht: Während der Dreharbeiten als visionäre Gestaltungskraft einer Regisseurin, die weit davon entfernt war, sich aufs stille Beobachten zu beschränken, sondern die sich vehement ins Geschehen – und manchmal eben auch in die Musik – einbrachte. Vor allem aber im Rhythmus des fertigen Films, der die (in Wahrheit oft mühsame, zähe, mitunter leicht chaotische) Arbeit dreier Jahre emotional verdichtet und in eine erzählbare Geschichte übersetzt hat.
Komponist/innen, Theolog/innen und Musiker/innen aus drei Religionen. Zusammenarbeit seit 2012
Seit ich in den 1990er Jahren begonnen habe, mein Komponieren nicht als "Beschäftigung mit Tönen", sondern als eine stetige Auseinandersetzung mit den Wirkungen und gesellschaftlichen Funktionen von Musik zu verstehen, träumte ich von einem interreligiösen Musikprojekt. Meiner Arbeitsweise hatte ich den Namen "Experimentelle Gebrauchsmusik" gegeben - und das Thema Interreligiosität erschien mir innerhalb dieses selbsterfundenen Genres als die Königsdisziplin. Gleichzeitig hielt ich es für nahezu unerreichbar, die Idee eines großen, interreligiösen Musikprojektes tatsächlich in die Tat umzusetzen. Denn eines war mir stets klar: Ich würde keine musikalische Privatutopie, kein einsames "Bekenntniswerk" fabrizieren wollen - sondern eine Musik, die tatsächlich im Dialog entstünde, theologisch fundiert und interkulturell ausgehandelt wäre. Doch wie sollte man die gewaltigen ästhetischen, organisatorischen, theologischen und organisatorischen Herausforderungen bewältigen, die diese Zielsetzung mit sich brächte? Wie einen Veranstalter und Geldgeber finden, die den Mut hätten, sich auf ein solch ungewisses Abenteuer einzulassen. Und, vor allem: Die Menschen, die diesen Weg mitgehen würden?
Es ist Christian Lorenz, dem ehemaligen Intendanten der Stuttgarter Bachakademie zu verdanken, dass aus dem Traum Wirklichkeit wurde - und es ist dem wunderbaren Team von TRIMUM zu verdanken, dass diese Wirklichkeit nicht in irgendeinem künstlerischen Elfenbeinturm angesiedelt blieb, sondern dass sie prallvoll ist mit Leben, Lernen, Auseinandersetzung, Streit, neuen Freundschaften, ernsthaftem Diskurs, verzweifeltem Ringen und beglückenden Entdeckungen.
Das Team:
Helmut Bieler-Wendt - Komponist und Musikpädagoge
Judith Bomheuer-Kuschel - Theologin und Musikpädagogin
Nikola David - Opernsänger und Kantor
Andreas Eckhardt- Kirchenmusiker und Dirigent
Serap Ermis - komparative Theologin
Katharina Gerhard - Musikvermittlerin
Ahmet Gül - Sänger
Cordula Heupts - Komparative Theologin und Geigerin
Tuba Işık - Religionspädagogin und komparative Theologin
Käthe Krokenberger - Projektassistenz
Assaf Levitin - Konzertsänger und Kantor
Elke Morlok - Judaistin
Rabeya Müller - Islamwissenschaftlerin und Theologin
Bettina Strübel - Freiberufliche Kirchenmusikerin
Saad Thamir - Komponist, Perkussionist und Sänger
Alon Wallach - Gitarrist und Arrageur
Georg Wötzer - Komponist
Halil Ibrahim Yüksel - Chorleiter und Instrumentalist