Dorflieder (2011)

oder "Meine Heimat ist, glaube ich, Dortelweil

Von Jane Dunker und Bernhard König in Zusammenarbeit mit der Regenbogenschule Dortelweil. Projektauftrag der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung. Gefördert durch den Lions Club Bad Vilbel-Wasserburg.

"Dorflieder" porträtierte Menschen ganz unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, die eines gemeinsam haben: Sie leben in Dortelweil; einem Ort in der Nähe von Frankfurt (Main), der in den zurückliegenden Jahrzehnten einen rasanten Strukturwandel erlebt hat – vom Bauerndorf zur multikulturell geprägten Kleinstadt. Alle Porträtierten erzählten ein kleines Stück ihrer Lebensgeschichte, festgemacht an einem Lied, das bedeutsam für ihr Leben oder für einen bestimmten Lebensabschnitt war. Manche dieser „Liedergeschichten“ erzählten von schönen, unbeschwerten Erinnerungen, andere von einer dunklen, traurigen oder entbehrungsreichen Vergangenheit. Manche der porträtierten Personen leben schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Dortelweil, andere sind aus fernen Ländern zugereist. Jeder von ihnen definiert „Heimat“ ein klein wenig anders und alle miteinander prägen das Dortelweil von heute.

 

Porträts und Geschichten: Beispiele

Das Projekt

Die Fotografin Jane Dunker

Der Projektverlauf im Spiegel der Presse

Reporter bei der Arbeit

Die Mitwirkenden und Unterstützer

 

 

 

 

 

Porträts und Geschichten: Beispiele

Anal mele panithuli

Ich tanze und singe gerne. Das Lied „anal mele panithuli“ habe ich bei einer Freundin kennengelernt. Alle tamilischen Mädchen haben eine große Feier, wenn sie die Tage bekommen. Dort wird viel gegessen, es kommen ganz viele Leute und das Mädchen darf zum ersten Mal einen Sari anziehen. Meine Freundin hat dieses Lied bei ihrem Pubertätsfest vorgesungen und es hat mir sofort gefallen. Es ist eher ruhig und hört sich ein bisschen traurig an.

Ich tanze auch gern tamilisch. Eigentlich ist das komisch, weil man ja noch nie dort war und auch nicht wirklich weiß, wie die leben. Aber meine Eltern haben es mir erzählt und ich habe auch ein Buch, das ein tamilischer Junge geschrieben hat.

Piraarthana Ravishangar, 11 Jahre, Schülerin

 

 

 

Die Fahnen hoch

ER:
Wenn eine Versammlung war, wurde zum Schluss aufgestanden und das Deutschlandlied und „Die Fahnen hoch“ gesungen.

SIE:
Erst „Die Fahnen hoch“ und dann das Deutschlandlied.

ER:
Für mich war's lästig. Für mich war der ganze Komiss lästig, von Anfang an bis zu Ende. Die Einschränkung der Freiheit.

SIE:
Wenn man marschiert ist, wurde auch gesungen. Wir sind ja ewig marschiert.

ER:
Das waren so Kampflieder, die waren eigentlich ein Vorbote für alles, was dann später passiert ist.

Willi Knecht, 89 Jahre, Rentner
Alice Knecht, 88 Jahre, Rentner

 

 

 

Hier ist ein Mensch

Die Katze hat meinen Nachbarn gehört, die haben hier vis–à–vis gewohnt und sind nach Jugoslawien gefahren, in Urlaub. Das Kätzchen blieb hier, für sich alleine.

Ich wohne ja auch alleine. Mein Mann ist gestorben, der hatte leider eine ganz böse Krankheit. Ich mache meinen Haushalt, meinen Garten, helfe manchmal meiner Tochter. Und ich habe meinen Friedhof, wo ich meine Verstorbenen pflege und die Gräber zurecht mache.

Eines Tages mach ich die Türe auf und da sitzt die Katze auf meiner Treppe und macht so „miau“. Hat geweint.
Der Peter Alexander hat ja so ein schönes Lied gesungen, „Hier ist ein Mensch, der will zu dir. Lass ihn hierein, er wird dir dankbar sein.“ Und da habe ich stattdessen gedacht: „Hier ist ein Tier, das will zu dir. Lass sie herein, sie wird dir dankbar sein.“ Und seit dieser Zeit habe ich die Katze.

Christine Reichard, 77 Jahre, Rentnerin

 

 

 

Higher and higher

„Lifting, lifting me up, lifting me, higher and higher!” Das mag ich gern, weil das mein Papa im Chor singt. Ich sing das auch, mit meiner Gitarre.

Simon Taphorn, 3 Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten

Viele Deutsche wissen das nicht: Dass alle japanischen Kinder "Loreley" von Silcher auf japanisch kennen. "Na-ji ka wa shi-ra-ne-do ko ko-ro wa-bi te…" Hier in Deutschland lernen die Kinder leider nicht mehr diese alten, eigentlich schönen Volkslieder, aber alle japanischen Kinder können das auswendig. Ähnlich wie hier in Deutschland ist in Japan nach dem Krieg alles gestrichen worden, das mit dem Kaiser oder dem Nationalismus verbunden war. Und was kommt dann stattdessen in die Schulmusik? Zuerst einmal die europäische Notenschrift und dann viele Lieder aus Deutschland.

Ich habe das schon in der sechsten Klasse im Chor gesungen, wir haben mit diesem Lied auch einen Wettbewerb gewonnen, weil einfach die Komposition so schön ist. Das Lied war meine erste Begegnung mit Europa. Eigentlich ist das ja eine grausame Geschichte, mit den vielen Seefahrern, die versunken sind. Aber als Kind habe ich das überhaupt nicht traurig empfunden, sondern ich dachte: Was ist denn "goldenes Haar"? Als Asiatin kennt man das ja überhaupt nicht.

Mit fünfzehn habe ich das dann als Solosängerin vertieft. Ich hatte Gesangsunterricht und es gab wieder einen Wettbewerb. Neben Mozart-Arien habe ich unter anderem auch die "Loreley" gesungen. Die erste Strophe deutsch und die zweite japanisch. Ich habe viel Lob bekommen und mir wurde dann in dem Moment bewusst: "Okay, klassischer Gesang, das ist vielleicht meineRichtung".

Das ist für mich schon ein Lebenslied geworden.

Warum die Japaner die deutschen Lieder mögen? In der Musik steckt eine ganz innere Ruhe und ein schimmernder Inhalt. Es geht nicht nur darum, die Stimme vorzuführen, sondern es sind auch viele Gedanken darin versteckt. Und diese Verstecktheit, das lieben die Japaner. Wenn die Kunst nach innen gewendet ist. Drei Wörter zu sagen, und zehn Wörter sind darin versteckt.

Eri Nabeya-Uhlig, 46 Jahre, Sängerin

 

 

 

 

 

Mademoiselle Chante le Blues

Mein Traum war immer, mit einem Güterzug mitzufahren. Weit weg, in die Freiheit.

Als Jugendliche bin ich hier immer aufgefallen. Ich war kein Vereinsmensch, eher so ein Einzelgängertyp. Mit 13,14 fing ich an, ganz in Schwarz herumzulaufen, und dann wurde ich immer angesprochen: "Na, ist jemand gestorben?". Aber ich habe das für mich gemacht, um mich abzuheben. Mit 18, 19 habe ich nur noch meine eigenen Kleider getragen, und mit 20 hatte ich schon meine erste Modenschau.
Später habe ich dann die Musik von Patricia Kaas für meine Modenschauen entdeckt. Sie passt zu meinen Kleidern: Ein bisschen frech, ein bisschen großstädtisch, sehr feminin.

Frei sein, ganz weit weg fahren: Irgendwie habe ich das dann doch nicht gemacht. Inzwischen wohne ich schon lange wieder hier im Dorf und habe auch meinen Laden hier. Obwohl das natürlich ein Risiko ist. Weil es hier keine Laufkundschaft gibt für Haute Couture.

Warum ich am Ende dann doch hiergeblieben bin? Ich weiß es nicht. Vielleicht hab ich mir ja stattdessen ein bisschen Freiheit hierher geholt, und ein bisschen Großstadt-Flair.

Christina Kreuz, 43 Jahre, Modellschneidermeisterin und Designerin

 

 

 

Wenn ich einst groß bin, wird dein Leben schön

Wir reisen durchs ganze Land, unser Theater besteht schon in der fünften Generation. Großmutter ist immer noch dabei, die ist 87 Jahre alt und steht immer noch auf der Bühne. Das ist ihr Leben. Und an die Kinder wird es auch weitergegeben. Unsere Kleinen mit ihren vier Jahren spielen auch schon mit. Damit das Ganze weiterlebt.

Mit der Schule haben wir natürlich Probleme gehabt. Jede Woche hat man die Schule gewechselt. Da hat man gerade Freundschaft geschlossen und dann geht es schon wieder weiter, in die nächste Stadt und zur nächsten Schule. Das hat einen schon ein bisschen verletzt. Man lernt, damit umzugehen – und trotzdem: im Herzen war es dann doch immer traurig.

Umso mehr sind wir Familienmensch. Wir stehen zusammen, wir leben zusammen und wir sterben auch zusammen, glaube ich. Deswegen haben uns auch die Lieder von Heintje immer begleitet. "Wenn ich einst groß bin, wird dein Leben schön"; das spiegelt alles wider, was wir fühlen: Wenn ich groß bin und du älter wirst, bin ich für dich da. Weil du warst ja für mich da. Jahrelang.

Andreas Sperlich, 36 Jahre, Schauspieler

  

 

 

Dorflieder: Das Projekt

Das Projekt „Dorflieder“ verbindet Musik, Fotokunst, Literatur und lokale Geschichtsforschung zu einer neuen Form von Dorfkultur. Schülerinnen und Schüler einer Grundschule haben unter professioneller Anleitung durch einen Komponisten und eine Fotografin ihren Heimatort erforscht und sich auf die Suche nach einer dörflichen Identität begeben. Am Ende entstand ein faszinierendes Gemisch aus vielen, ganz unterschiedlichen Identitäten und Herkunftskulturen.

In der ersten Projektphase erhielten die Schülerinnen und Schüler der örtlichen Grundschule ein vorbereitendes „Reporter-Training“ und befragten unterschiedlichste Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld oder aus ortsansässigen Institutionen und Betrieben nach „ihren“ Liedern und den dazugehörigen Geschichten oder Erinnerungen. Zusätzlich wurden die Interviewpartner fotografisch porträtiert.

 

 

Integration durch Musik

Erklärte Zielvorgabe dieses Projektauftrages der Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung war es, "das Miteinander von Kindern und Jugendlichen verschiedener Nationalitäten fördern". Doch wie passt diese Zielsetzung zusammen mit dem dörflichen Schauplatz dieses Projektes?

Dortelweil, ein Stadtteil von Bad Vilbel bei Frankfurt (Main) war Jahrhunderte lang ein typisches hessisches Bauerndorf ohne jegliche Migrationseinflüsse. Seit den 1950er Jahren hat sich die Bevölkerungsstruktur in mehreren Zuwanderungswellen rapide verändert und vergrößert: Zunächst durch den Zuzug von zahlreichen „sudetendeutschen“ Flüchtlingen, in den 70er Jahren durch mehrere türkische und marokkanische Gastarbeiterfamilien, seit den 90er Jahren dann durch die Wohnraumbebauung einstiger landwirtschaftlicher Nutzflächen.

Binnen eines halben Jahrhunderts ist so aus dem kulturell homogenen Bauerndorf eine moderne multikulturelle Kleinstadt mit zahlreichen großen Dienstleistungsunternehmen geworden. Dabei beläuft sich der prozentuale Anteil von Zuwanderern (Migranten) auf mehr als 20%. Gleichwohl ist der Ort zu klein, als dass sich einzelne kulturelle „Communities“ herausbilden könnten – so leben Kosovoflüchtlinge und Russlanddeutsche, ostasiatische Computerexperten und „Deutschtürken“ der zweiten und dritten Generation Tür an Tür, kaufen in den gleichen Läden ein und besuchen die gleiche Schule. Auf den ersten Eindruck ein Musterbeispiel gelungener Integration – und doch weiß man wenig voneinander, existieren unsichtbare Schranken, die einem intensiveren Austausch im Wege stehen.

So versteht sich das Projekt "Dorflieder" ganz bewusst nicht nur als Angebot an die unmittelbar mitwirkenden Kinder, sondern auch an ihre Familien und Nachbarn, an die Interviewpartner(innen) und porträtierten Anwohner. Bereits die erste Recherche-Phase wird sich nicht auf den schulischen Unterricht beschränken, sondern auch auf den Rahmen eines Familienworkshops erweitert werden.

 

Naher und ferner Blick

Bernhard König, einer der beiden Projektleiter, ist selbst als Kind in diesem Dorf aufgewachsen und hat hier seine ersten künstlerischen Gehversuche als Musiker, Komponist und Filmemacher unternommen. Mit diesem Projekt kehrt er erstmals in beruflicher Funktion in seinen Heimatort zurück - einige der porträtierten Interviewpartner kennt er von frühester Kindheit an.

 

Ganz anders Jane Dunker, die Fotografin dieses Projektes: Die freiberufliche Fotokünstlerin und Dozentin für Soziale Fotografie lebt in Köln und ist in Ost-Java (Indonesien) geboren. Sie betrachtet die Dorfbewohner gänzlich unvoreingenommen, mit dem forschenden und zugleich einfühlsamen Blick einer Fremden.

Die Spannung zwischen diesen beiden Sichtweisen in der künstlerischen Leitung wird - so ist zu hoffen - auch auf die teilnehmenden Akteure abfärben: Im Idealfall wird es gelingen, ein Stück Heimat neu zu entdecken und mit neuen Augen zu sehen.

Jane Dunker und Bernhard König arbeiten seit über 15 Jahren intensiv zusammen. Der bei weitem größte Teil der Fotos auf dieser Homepage "schraege-musik.de", stammt von Dunker.

Mehr Informationen zu Jane Dunker

 

 

 

 

 

Der Projektverlauf im Spiegel der Presse

Vom kleinen hessischen Bauerndorf zum multikulturellen Vilbeler Stadtteil: Mehr als 100 Regenbogenschüler zeichnen im Projekt „Dorflieder“ ein vielschichtiges und buntes Bild ihrer Heimat mit Musik, Gesängen, Gesichtern und Geschichten aus Dortelweil und aus aller Welt. „Meine Heimat ist, glaube ich, Dortelweil“ sagt Merih Öznur Turgut. So wie die 18jährige Schülerin empfinden viele Menschen, die von Geburt an oder schon lange in Dortelweil leben wie auch solche, die dort eine neue Heimat gefunden haben. (...)Vor diesem Hintergrund gingen die Grundschüler ab Februar auf Spurensuche, um die Vielfalt ihres Stadtteils in Gesprächen, Liedern und auf Fotos einzufangen.
(Bad Vilbeler Neue Presse, 6. Mai 2011)

Musik, darum geht es. Um die Musik dieser Menschen und um ihr Leben, um ihre „Lebenslieder“, wie es König und Dunker auch nennen. Diese Lieder haben die Regenbogenschüler der Klassen 3a und 3e aufgespürt: In zehn Teams, jeweils bestehend aus Fotograf, Reporter, Tontechniker und Protokollant, haben sie Dortelweiler interviewt. Sie waren bei ihnen zu Hause oder haben sie auf der Straße angesprochen.
(Frankfurter Rundschau, 6. Mai 2011)

Interviewt werden alle, die den gut gelaunten Mädchen und Jungen über den Weg laufen – vom Politiker über ehrenamtliche Polizistinnen bis hin zum Schauspieler. (...) Während der Umfragen gewinnen die Schüler der 3e viele neue Erkenntnisse: „Die ersten Fragen im Interview sind immer schwierig“, erzählen Louise und Joana, die sich beim Interview und Protokoll abwechseln.
(Wetterauer Zeitung, 26. März 2011)

Neben seinem beruflich-künstlerischen Interesse liegt König das Projekt Dorflieder auch persönlich am Herzen. Er ist in Dortelweil aufgewachsen. Schon lange habe er vor, etwas in seinem Heimatort zu machen, auch um den Strukturwandel darzustellen. Und um Neu- und Ur-Dortelweiler zusammenzubringen. „Die Neuzugezogenen sollen das alte Dorf kennenlernen, das seinerseits sehen soll, dass auch Menschen anderer Kulturen zum Dorfleben gehören.“
Es geht um Integration und Identität, um Themen, mit denen sich Jane Dunker, die aus Indonesien stammt, künstlerisch viel beschäftigt hat. „Wer bin ich? Wo sind meine Wurzeln?“ Solche Fragen trieben die Menschen heute um. Die Kinder sollen über Musik nach Antworten suchen.
(Frankfurter Rundschau, 2./3. April 2011)

Herausgekommen sind schöne Lieder, wunderbare Melodien, spannende Geschichten, interessante Porträts, Berichte über fröhliche Feste und traurige Momente der Bewohner.
(Bad Vilbeler Neue Presse, 6. Mai 2011)

Die Erinnerung von Eri Nabeya-Uhlig zum Beispiel, dass das hierzulande kaum mehr bekannte Loreley-Lied „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ in Japan jedes Kind singen könne – mit japanischem Text. Also tragen auch die Regenbogenschüler das Lied vor: erst auf Japanisch, dann auf Deutsch. Oder die Sache mit den Fan-Gesängen im Fußballstadion. Die nämlich, wusste der frühere Eintracht-Frankfurt-Profi Friedel Lutz zu berichten, entstanden in den Duschkabinen der Spieler und sind vom Karneval abgekupfert. (...)“
(Frankfurter Rundschau, 6. Mai 2011)

Bei anderen zeugen die Lieder aus einem traurigen, dunklen Kapitel in der jeweiligen Biografie. Jede und jeder Interviewte definiert den Begriff »Heimat« für sich ein wenig anders, während alle zusammen das Dorf Dortelweil prägen.
Die Kinder besuchten Menschen zu Hause oder sprachen sie direkt auf der Straße an, wie eine Frau, die mit ihrer Familie zu Weihnachten gern immer dieselben Lieder singt, »obwohl ihre Jungs schon über 20 Jahre alt sind«. Ein anderer Herr sang den Kindern ein Lied vor, das ihn an seine große Liebe erinnerte. Eine weitere Gruppe traf eine Frau auf dem Friedhof, die dort ihr Kind besuchte, das starb, bevor es in die Grundschule kam und das heute 25 Jahre alt gewesen wäre. Diesem Jungen, Lutz, zum Andenken hatten die Kinder gemeinsam mit König eine inszenierte Version von »Ins Wasser fällt ein Stein« konzipiert.
Aus all diesen Erlebnissen, eingefangen im Frühjahr dieses Jahres, entstand im Dialog zwischen König und den Regenbogen-Kindern eine gut anderthalbstündige Bühnenshow, in der Rhythmik, Gesang und Ortskenntnis eine große Rolle spielen.
(Wetterauer Zeitung, 10. Mai 2011)

„Dortelweil-West – Alt-Dortelweil – Bad Vilbel“ rappt und singt der Chor der Regenbogenschule auf der Bühne, begleitet vom Orchester der Musikklasse und dem Konzertpädagogen Bernhard König am Klavier. Er hat das Lied komponiert und mit den Kindern einstudiert. Doch die Aufführung im Kultur- und Sportforum ist nur ein Teil des Projektes „Dorflieder“, das er gemeinsam mit der Fotografin Jane Dunker und der Regenbogenschule umgesetzt hat.
Draußen im Foyer hängt der andere, der visuelle Teil der Ergebnisse: Bilder und Texte von und über Menschen, die in Dortelweil leben, die hier aufgewachsen oder zugezogen sind. Ein Rentnerpaar, ein Dachdecker, eine Italienerin, ein tamilisches Mädchen, ein Vietnamese, der einst vor dem Krieg aus seinem Land flüchtete, ein Mann aus Äthiopien mit Gitarre.“ (...)
120 Kinder singen, trommeln, klopfen, spielen Cello, Geige und Triangel. Sie bringen das, was die Ausstellung zeigt, musikalisch auf die Bühne.
(Frankfurter Rundschau, 6. Mai 2011)

 

 

 

 

 

 

 

Reporter bei der Arbeit: Ein Blick in die Werkstatt

Unser Projekt begann mit einem Einführungsworkshop. Hier lernten die beteiligten Schulklassen, wie man in einem Interview die Fragen stellt, wie man ein Ton-Aufnahmegerät bedient oder sich die besten Fotomotive sucht. Anschließend wurden kleine Reportergruppen zusammengestellt.

Die Reportergruppen hatten Namen wie "Löwenteam", "Team Avanti" oder "Regenbogenreporter". In jedem Reporterteam gab es ein bis zwei Reporter oder Reporterinnen, einen Tontechniker und einen Fotografen. Gemeinsam zogen sie einen Vormittag lang durch Dortelweil, um Interviews zu führen. Manche Reportergruppen besuchten ihre Gesprächspartner zu Hause, andere suchten sich auf der Straße jemanden zum Interviewen.

In unserer Ausstellungseröffnung am 5. Mai 2011 haben die Kinder selbst ihre Recherche-Tour durch Dortelweil beschrieben:

Sehr spannend war es für uns, dass wir so viele Dortelweiler zu Hause in ihren Wohnungen besuchen durften. In manche Häuser, die wir bisher immer nur von außen gesehen haben, durften wir jetzt zum ersten Mal reinschauen. Manchmal haben wir aber auch Interviews mit Leuten gemacht, die wir einfach so auf der Straße getroffen haben. Viele von den Leuten, die wir interviewt haben, sind in anderen Ländern geboren. Das fanden wir natürlich besonders interessant, und deswegen haben wir sie nach diesen Ländern gefragt, aus denen sie ursprünglich herkommen.

Und wie läuft ein solches Interview nun ab? Einige kleine Beispiele:

Beispiel 1

REPORTERIN: Also erst mal guten Tag, wir kommen von der Regenbogenschule und ich wollte Sie fragen, ob ich Sie interviewen dürfte.

FRAU STEVENS: Ja.

REPORTERIN: Okay. Ich stell uns erst mal vor, ich heiß Elisa, das ist Tobias der Tontechniker, das ist Vanessa, die schreibt auf, und das ist Valentina, die fotografiert. Und ich wollt Sie erstmal fragen nach Ihrem Namen.

FRAU STEVENS: Mein Name ist Beth-Ann Stevens.

 

Beispiel 2

REPORTER: Wie lange haben Sie die Vögel schon?

HERR ALTHOFF: Man braucht eine Genehmigung zum Züchten der Vögel, diese Genehmigung habe ich schon 15 Jahre, also ich mach das schon etwa zwischen 15 und 20 Jahren.

REPORTER: Gibt es ein Lied, das Sie noch kennen aus Ihrer Kindheit?

HERR ALTHOFF: Das ist schwierig, also zum Beispiel "Fuchs, du hast die Gans gestohlen", oder, hm, wie heißt denn das… Also, mit den Liedern aus der Kindheit ist schwierig.

REPORTER: Was ist der älteste und der jüngste Vogel, den Sie haben?

HERR ALTHOFF: Der ältste Vogel, also ich denke, das ist ein Wellensittich, der dürfte so um die acht Jahre sein. Der jüngste Vogel, die sind jetzt zwischen einer Woche und manche sind drei Wochen alt.

 

Beispiel 3

REPORTERIN: Aus welchem Land kommen Sie?

FRAU SAGLIK: Aus Deutschland.

REPORTERIN: Aus welchem Land kommen Ihre Eltern?

FRAU SAGLIK: Aus der Türkei.

REPORTERIN: Haben Sie ein Lieblingslied?

FRAU SAGLIK: Ja.

REPORTERIN: Wie heißt das?

FRAU SAGLIK: Spannenlanger Hansel.

 

"Kinderinterviews" und "Erwachseneninterviews"

Nicht alle hier vorgestellten Liedergeschichten stammen aus Interviews, die von den Kindern allein geführt wurden. Überall dort, wo zum Beispiel ein vertiefendes historisches Wissen nötig war, um das Gespräch führen zu können oder wo die Thematik des Gesprächs nur eingeschränkt "kindgerecht" war, haben die Erwachsenen die Gesprächsführung intensiv unterstützt. Zusätzlich wurde auch eine ganze Reihe von Interviews von den Projektleitern Bernhard König und Jane Dunker alleine geführt.

 

Und wie ging es weiter?

Anschließend wurde das Material von den Projektleitern gesichtet und ausgewertet. Insgesamt waren fast 80 Gespräche geführt worden - die kürzesten dauerten wenige Minuten, die längsten bis zu einer Stunde. Viel Arbeit also - und schon allein aus Zeitgründen unmöglich, aus allen Gesprächen tatsächlich eine eigene Geschichte herauszufiltern, zu transkribieren und auszuformulieren.

In der zweiten Projektphase wurde ein Teil der gesammelten Geschichten für das Rahmenprogramm zur Ausstellungseröffnung noch einmal künstlerisch bearbeitet: Zusammen mit dem Chor und dem Instrumentalensemble entstanden kleine Musikstücke - vom "Straßennamenrap" bis zur "Fußballmusik".

 

 

 

 

 

 

Dorflieder: Die Mitwirkenden

Regenbogenschule Dortelweil (Schulleiterin Hanne Mühle):

Klasse 3a (Klassenlehrerin: Ursula Friebel-Reul)

Klasse 3e (Sabine Merx)

Klasse 4c (Stefani Schleyer)

Instrumentalensemble der Regenbogenschule (Gisela König in Zusammenarbeit mit Jutta Claar und Peter Koch, Musikschule Bad Vilbel)

Chor der Regenbogenschule (Antje Schächer)

Besonderen Dank an: Merle Graßhoff, Hanke Huber, Christina Kreuz, Familie Taphorn und Familie König.

 

Förderer und Unterstützer

"Dorflieder" ist ein Förderprojekt der Ideeninitiative ’Integration durch Musik’ 2010 der Liz Mohn Kunst- und Musikstiftung. Die Ausstellung "Dorflieder" wird gefördert durch den Lions Club Bad Vilbel-Wasserburg.

Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturamt der Stadt Bad Vilbel, das Kulturforum Bad Vilbel und WDR 3 open (Studio Akustische Kunst).