In: Positionen – Beiträge zur Neuen Musik, Heft 51 („Angewandte Musik“), Mai 2002, S. 22-26
Vorbemerkung der Redaktion: Das Werkverzeichnis von Bernhard König unterscheidet sich auffällig von den Verzeichnissen seiner Kollegen. Gattungsrubriken sind hier nicht Kammermusik, Solowerke, Orchestermusik oder Vokalwerke, sondern Projekte/Performances, Filme, Hörspiele, und – Kompositionen. Unter den »Projekten« finden sich Titel wie Erstes Kölner Staukonzert. Simultane Straßenmusik-Aktion mit über 100 Musikern (1994), Der Wertstoffplanet. Musiktheater für Kinderchor, Schrottorchester und Darsteller (1998) oder Heilige Zahlen. Kirchenspektakel mit alter und neuer Musik für mehrere Chöre, Orgel, Tanz, Sprecher und Darsteller (1999) Und auch die »Kompositionen« verweisen häufig auf besondere Anlässe und außermusikalische Bezüge, wenn man z.B. liest: Annäherungsversuche. Szenische Kammermusik für Violoncello und ein klavierspielendes Kind (1988), Kassensturz – Musik für eine Schalterhalle (1989), Knirschen in Nachbars Garten – Solo für eine nichtbehinderte Sängerin (1998) oder Plenarmusik – Tanztheater für den Mainzer Landtag (2001).
Der folgende Text entstand auf der Grundlage eines von Marion Saxer geführten e-mail-Interviews mit dem Komponisten.
Anlässe
Wenn es darum geht, ein verbindendes Moment meiner kompositorischen Arbeit zu benennen, dann ist es wohl dies: meine Musik steht immer, und zwar ausnahmslos, in einem Kontext außermusikalischer Anlässe. Und zwar nicht im Sinne einer schmückenden Zutat oder einer nachträglichen Inszenierung, sondern als ein ganz wesentlicher Ausgangsimpuls, ohne den ich mich überhaupt nicht an die Arbeit machen würde. Musikimmanentes Denken, klangliche oder formale Fantasie, setzt bei mir erst in dem Moment ein, wo der äußere Rahmen abgesteckt und eine außermusikalische Aufgabe formuliert ist: das musikalische Ausmessen und Inszenieren eines bestimmten Raumes (zum Beispiel einer Kirche oder einer Sparkassen-Schalterhalle). Das Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Geisteshaltung oder Verfassung (zum Beispiel von Behinderten und Nichtbehinderten), oder auch ein ganzes Koordinatensystem von außermusikalischen Anlässen, wie zum Beispiel die Konfrontation einer klar definierten sozialen Gruppe (zum Beispiel Schülerinnen und Schülern in einem bestimmten Alter) mit einem ganz konkreten Thema (zum Beispiel dem historischen Datum »9. November«).
Es gab Zeiten, da habe ich es als Defizit empfunden, dass ich offenbar so wenig in der Lage bin, einfach nur eine Kammermusik für Klarinette und Klavier zu schreiben. Jedes Mal, wenn ich es versucht habe, kam irgend etwas Szenisches oder Aktionistisches dabei heraus.
Inzwischen denke ich eher umgekehrt: Es gibt überhaupt keine Musik, die ohne Anlass entsteht. In der kulturellen Nische, in der wir beheimatet sind, ist dieser Anlass meist eine öffentliche Versammlung von Menschen, die sich einfinden, um zunächst schweigend, auf Stühlen sitzend, Musik zu hören und anschließend darüber zu reden. Kein schlechter Anlass, gewiß, und ein großes Privileg, dass derartige Veranstaltungen überhaupt existieren. Aber gemessen an der gewaltigen Fülle von Möglichkeiten, Musik zu erleben – tanzend, singend, lernend, protestierend, meditierend, liebend, forschend... – erscheint mir diese Fixierung auf’s Stillsitzen als einzig anerkannte und angestrebte Rezeptionsform mitunter wie eine ganz merkwürdige Mischung aus kollektiver Zwanghaftigkeit und Selbstverhinderung: Als hätten wir Komponisten in den letzten zweihundert Jahren alles daran gesetzt, all diese lebendigen Formen des Umgangs mit Musik loszuwerden; sie freiwillig und kampflos an die Kollegen aus der Unterhaltungsbranche abzutreten.
Musik für Laien
In vielen meiner Projekte für und mit Laien sind die Mitwirkenden sehr eng am Entstehungsprozess beteiligt. Der Zyklus Schräge Musik – Miniaturen für Instrumentalanfänger (seit 1998) beispielsweise entsteht in direktem Dialog mit den Schülern verschiedener Musikschulen; an der Entstehung der Hochhausrevue Oase West (2000/2001) wirkten über 200 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit, allesamt Bewohner des gleichen Stadtteils. Bei meinem jüngsten Stück ...della lingua perfetta für Stimmen und Streichquartett (2002) waren an der Produktion der Zuspielbänder geistig behinderte und nichtbehinderte Sprecher aus neun europäischen Ländern beteiligt und prägten maßgeblich die Komposition.
Bei der Realisation all dieser Stücke habe ich gegenüber der Arbeit mit professionellen Musikern eine paradoxe Erfahrung gemacht. Je direkter ich bei einem Projekt mit dem professionellen Neue-Musik-Betrieb in Berührung komme, mit einem interessierten Fachpublikum und mit spezialisierten Interpreten (was ja zunächst einmal bedeutet: mir stehen alle künstlerischen Möglichkeiten offen, ich kann so sperrig, radikal und kulturkritisch sein, wie ich nur irgend möchte) – desto stärker empfinde ich meine eigene Arbeit als affirmativ und angepasst. Es kann natürlich ein durchaus befriedigendes Erlebnis sein, auf hohem Niveau interpretiert und von einem erfahrenen Publikum verstanden zu werden. Aber diese professionelle Routine der Einstudierung und Rezeption hinterlässt doch auch stets ein etwas schales Gefühl von Nutzlosigkeit bei mir.
Wenn ich hingegen im Auftrag einer Jugendmusikschule experimentelle Musik für Instrumentalanfänger schreibe, die vielleicht gerade mal drei Töne aus ihrem Instrument herausbringen; wenn ich mit Rappern und Breakdancern aus einer Hochhaussiedlung zusammenarbeite oder mit den Sängerinnen und Sängern eines Kirchenchores, der bis dahin nur Bach und Schütz gesungen hat, dann gibt es Tausende von äußeren Sachzwängen und Blockaden, die mich in meiner Freiheit beschneiden und dazu führen können, dass das Ergebnis in seinem »objektiven« ästhetischen Wert eher bescheiden ausfällt. Es gibt ja Chorsänger, für die bricht bereits ihr musikalisches Weltbild zusammen, wenn sie senza misura einen Text flüstern sollen. Für Rapper und Breaker genügt sogar ein Dreivierteltakt, um nachhaltige Verstörung auszulösen. Aber dieser (mitunter recht heftige) Widerstand ist zugleich etwas sehr Produktives und Anregendes, er fordert mich nicht nur als Tonsetzer sondern als ganze Person, und wenn ich meinen Job ordentlich mache, dann führt dieser Widerstand bei den Mitwirkenden zu Auseinandersetzung und im besten Fall zu Identifikation. Diese Intensität der ästhetischen Auseinandersetzung, die bei der Arbeit mit Laien an der Tagesordnung ist, wird man im professionellen Konzertbetrieb vergeblich suchen. Mir scheinen deshalb meine verschiedenen Versuche auf dem Gebiet der Musikvermittlung und der »experimentellen Gebrauchsmusik« der wichtigste und nachhaltigste (wenn auch vielleicht nicht immer der geglückteste und künstlerisch befriedigendste) Teil meiner Arbeit zu sein. Erst recht dann, wenn ich über den Tellerrand unseres kränkelnden Subventionssystems hinausschaue und nach so etwas wie einer zukunftsfähigen Perspektive meines Berufsstandes Ausschau halte. Ich gehöre nicht zu jenen, die die Traditionslinie der »Neuen Musik« zu Beginn des 21. Jahrhunderts für tot erklären. Insbesondere den einstigen aufklärerischen und emanzipatorischen Anspruch dieser Musik halte ich für alles andere als überholt. Dass allerdings der Konzertsaal der richtige Ort ist, um diesen Anspruch einzulösen, daran kann ich nicht mehr so recht glauben. Dafür muß man an die frische Luft gehen: Dorthin wo Musik gemacht, gebraucht und genutzt wird, und nicht als autonomes Kunstwerk »aufgeführt« und »rezipiert«.
Alte Stimmen und Neue Musik
Ein gutes Beispiel dafür, wie stark der äußere Entstehungsrahmen die künstlerische Konzeption beeinflussen kann, ist das Stück Aus Alters Heimen – Epische Dichtung für Tonband und vier Instrumente (1995); eine Collage aus dokumentarischen Sprachaufnahmen alter Menschen und einer durchkomponierten Musik. Der Arbeitsprozess glich hier einer Art Selbstversuch: Ich habe mich zunächst auf recht massive Weise mit dem Thema »Alter« konfrontiert, indem ich mich zwei Wochen lang in einem Altenheim einquartierte. Ich hatte dort ein eigenes Zimmer, nahm an den kollektiven Mahlzeiten teil und führte täglich sechs bis acht Stunden lang Einzelgespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, die ich größtenteils auf Tonband mitschnitt. Die Themen dieser Interviews bestimmten meine Gesprächspartner während des Gespräches selber: Krankheit und Einsamkeit, Reiseberichte und familiäre Erinnerungen, und natürlich immer wieder die Auseinandersetzung mit Krieg und Nationalsozialismus. Mir ging es dabei allerdings nie um geschichtliche Recherche im Sinne einer oral history, sondern stets um die gegenwärtige, vorgefundene Situation: Um die Spuren beispielsweise, die das einst Erlebte in den heutigen Ausdrucksformen meines jeweiligen Gegenübers hinterlassen hatte, die Brüchigkeit einer Stimme, das insistierende Kreisen, epische Schweifen oder sprunghafte Assoziieren eines Berichtes. (Am wenigsten waren diese Spuren übrigens bei zwei strammen Altnazis zu beobachten: sie sprachen beide nahezu druckreif). Und es ging mir um die bizarre Wirklichkeit dieses Ghetto-Daseins, um diese unglaubliche, Jahre oder manchmal Jahrzehnte währende Einsamkeit unter lauter Gleichaltrigen und Mitbetroffenen.
Bei mir selbst hinterließ das kurze Eintauchen in diese Welt (dem weitere, regelmäßige Besuche in verschiedenen anderen Altenheimen folgten) einen so tiefen Eindruck, dass ich zwei Jahre Abstand brauchte, bis ich in der Lage war, die aufgenommenen Bänder als »Material« auszuwerten und zu einer O-Ton-Collage zu verarbeiten. Als die Komposition schließlich fertig war, waren bereits über die Hälfte meiner Gesprächspartnerinnen und –partner gestorben.
Musik für Kinder Expedition zur Erde, komponiert zwischen 1992 und 1994, war die bei weitem umfangreichste und aufwendigste Arbeit meiner Lehrjahre bei Mauricio Kagel. Das Stück wird von professionellen Musikern ausgeführt, richtet sich aber gezielt an Kinder als Publikum. Die Frage liegt auf der Hand, warum sich ein junger Komponist ausgerechnet das Genre »Kinderoper« wählt, um erstmals an eine größere Öffentlichkeit zu treten. Zehn oder fünfzehn Jahre früher wäre eine solche Entscheidung ein sicherer Karrierekiller gewesen: Ich wäre als Komponist fortan nicht mehr ernst genommen worden. Hier hat sich das Klima zum Glück entschieden gewandelt, das Interesse und auch die Wertschätzung an Kompositionen für Kinder sind immens gestiegen.
Die wahren Beweggründe für eine solche Entscheidung sind ja meist eher persönlicher, vielleicht sogar unbewusster oder zufälliger Natur. Aber es gab auch einen sehr bewussten und reflektierten Anteil bei der Wahl dieses Betätigungsfeldes.
Komponieren ist für mich stets auch eine spielerische Auseinandersetzung mit den eigenen Utopien. Aber ich halte nicht viel davon, diesen utopischen Anspruch (wie es in der Kunst häufig geschieht) auf weltumspannende Dimensionen aufzublähen, um ihn anschließend bis zur Unkenntlichkeit in musikalischen Chiffren zu verschlüsseln und zu verstecken. Lieber arbeite ich mich an einer kleinen, überschaubaren und halbwegs ehrlichen Mini-Utopie ab. Das birgt dann die Chance, dass dieser ideelle Anspruch tatsächlich irgendwo greifbare Gestalt annehmen kann und nicht bloß auf dem Papier oder in irgendwelchen programmatischen Bekenntnissen sichtbar wird.
In diesem Fall lautete die Utopie ganz schlicht: Die besondere Rezeptionssituation einer Kinderoper ernst zu nehmen. Ernst zu nehmen, dass ich als Komponist Initiator einer Begegnung bin - einer Begegnung zwischen Kindern im Grundschulalter und der Institution »Oper«; zweier Welten also, die einander denkbar fremd sind. Konkret bedeutet das: Einerseits die Kinder kompromisslos mit musikalischer Qualität zu konfrontieren und sie nicht mit irgendeinem verniedlichenden Geplänkel für dumm zu verkaufen und andererseits den Opernbetrieb kompromisslos mit den Kindern, mit ihrer Vitalität, Spontaneität und Neugierde zu konfrontieren. Selbst dann, wenn das eigentlich den Rahmen dieser Institution sprengt und an die Grenzen dessen geht, was sie zu leisten vermag oder gewillt ist.
Inhaltlich geht es in dem Stück um den fernen Planeten Lyra, auf dem das Volk der Lyresen lebt, die durch Zufall im Weltall einen kleinen, unwirtlichen Planeten namens Erde entdeckt haben. Dessen Bewohner, die »Menn-schenn«, besitzen offenbar ein geheimnisvolles Wundermittel namens »Musik«. In mehreren Erkundungsflügen versuchen die Lyresen nun herauszufinden, was sich hinter diesem Begriff verberge. Für mich war dieser Stoff – die ebenso schlichte wie unbescheidene Frage »Was ist Musik?«- eine große und reizvolle Herausforderung. Auf keinen Fall wollte ich eine Antwort anbieten oder gar eine definitorische Grenze ziehen. Stattdessen spielen das Textbuch und die Partitur verschiedene Facetten durch, ernstgemeinte und absurde Exempel dafür, was Musik alles sein kann oder sein könnte. Da werden zum Beispiel von den außerirdischen Wissenschaftlern Musikkassetten und CDs pulverisiert, chemisch untersucht und zu einer flüssigen Substanz verarbeitet. Das Ergebnis ist zwar nicht das erhoffte »Wundermittel«, doch der alchimistische Prozeß selber ist in der Partitur genau auskomponiert (als »Co-Librettist« fungierte hier ein Chemiker der Kölner Universität) und wird von der Hofnärrin, der zentralen Identifikationsfigur des Stückes, bestaunt wie ein Musikstück.
Die eigentliche »Antwort« wird zu guter Letzt an die eigene Erfahrung des Publikums delegiert. Die Bühnenhandlung bleibt offen, aber die Lyresen kehren am Schluss auf die Erde zurück, um gemeinsam mit dem Publikum der Oper ein »intergalaktisches Musikfest« zu feiern. Für die Gestaltung dieses Festes gibt es im Anhang der Partitur verschiedene Anregungen – interaktive Spiele, Möglichkeiten des gemeinsamen experimentellen Musizierens – die aber für die Bedingungen des jeweiligen Opernhauses adaptiert werden müssen.
Diesem völlig freien und experimentellen Teil steht eine detailliert aufgezeichnete Partitur gegenüber, die stilistisch keine besonderen Konzessionen an ihre Zielgruppe macht – abgesehen von einem vollständigen Verzicht auf die Opernkonvention des theatralischen Singens, die mir ohnehin bis zum heutigen Tag fremd geblieben ist. In Expedition zur Erde wird zunächst ausschließlich gesprochen, und dort wo gesungen wird, steht das Singen selbst, das »Singenlernen«, »zur Stimme Finden« oder »Um-die-Wette-Singen« im Mittelpunkt der Handlung.
Bei aller musikalischen Kompromisslosigkeit war es mir allerdings dennoch wichtig, die Kinder im Publikum stets mitzudenken und ihnen Rezeptionsangebote zu machen. Das können mitunter auch kleine Anstiftungen zur Respektlosigkeit sein: so gibt es beispielsweise gegen Ende eine Stelle, in der es in der musikalischen »Erwachsenenwelt« drunter und drüber geht, worauf sich die Hofnärrin als zentrale Identifikationsfigur einfach die Ohren zuhält und sich so - Ohren auf, Ohren zu - ihre eigene Musik kreiert.
Die ersten Skizzen zu dieser Oper machte ich im Alter von siebzehn Jahren und in den zehn Jahren bis zur Fertigstellung hatte ich reichlich Gelegenheit, die Höhen und Tiefen des Komponistenberufs kennen zu lernen: Auf der einen Seite viele Vorschußlorbeeren bis hin zu einem internationalen Förderstipendium, auf der anderen Seite eine nie abbrechende Kontinuität des Scheiterns, geplatzte Verträge, verpasste Wettbewerbsfristen, heftige Konflikte mit einem potentiellen Verleger, wochenlanges Sich-Verrennen in konzeptionellen Sackgassen - es war eine quälend langsame und schmerzhafte Geburt. Als das Stück dann endlich fertig war, sah es zunächst so aus, als ob keiner es spielen möchte. Die Uraufführung, die nach einem Jahr dann doch zustande kam, ließ hinsichtlich ihrer musikalischen Qualität nichts zu wünschen übrig und es war viel Geld, Energie und Engagement in die Realisation investiert worden, vor allem in ein opulentes Bühnenbild mit allerlei Licht- und Lasereffekten. Aber mit meiner »Utopie«, mit dem, worum es mir im Kern gegangen war, war ich erneut gescheitert. Der interaktive Teil fiel komplett unter den Tisch, es gab keine wirkliche Begegnung mit dem Publikum, die Kinder blieben außen vor. Da auch die Presseresonanz eher dürftig ausfiel, konnte ich nicht mit einer Nachfolgeproduktion rechnen. Ich versuchte es dennoch, schickte das Stück immer wieder an verschiedene Opernhäuser und erhielt regelmäßig die gleiche Antwort: Großes Lob für das Stück, aber leider kein Platz im Spielplan für ein so aufwendiges und experimentelles Kinderstück.
Nach fünf Jahren vergeblichen Klinkenputzens, als ich die Hoffnung längst aufgegeben hatte, kam durch Zufall der Kontakt mit der Stuttgarter »Jungen Oper« zustande - einer Einrichtung, deren Philosophie und Infrastruktur wie maßgeschneidert zu meinem Stück passte. Was dann folgte, war eine meiner beglückendsten beruflichen Erfahrungen. Ein sehr lebendiger Produktionsprozess, in dem die Kinder als anvisiertes Publikum zu allen Phasen präsent waren (vor und hinter den Kulissen sowie in den Köpfen der Verantwortlichen); eine wunderbar verspielte Inszenierung, die konsequent auf einen abschließenden Parcours zielte, in dem das Publikum sich im ganzen Haus verschiedene Klangräume und bespielbare Installationen eroberte. Den Abschluss bildete ein kurzes gemeinsames Musikstück, bei dem Publikum, SängerInnen und Orchestermusiker zusammen summten, pfiffen, sangen und dirigierten. Diesmal ging das Konzept auf, und für mich wurde aus einem Schmerzenskind, von dem ich mich innerlich bereits verabschiedet hatte, plötzlich ein Erfolgsstück mit über dreißig ausverkaufte Aufführungen, Hörfunk- und CD-Produktion und großer überregionaler Resonanz. Am meisten freute es mich, zu sehen, wie ganze Schulklassen und einzelne Kinder, darunter auch meine eigene Tochter, im Umfeld der Aufführung selber begannen, sich diese Frage zu stellen: »Was ist denn eigentlich Musik?«