Was bewegt die Stadt?

Gesänge - Gesichter- Geschichten aus Bielefeld

Eine Sammlung von Liedergeschichten und Fotoporträts von Jane Dunker (Fotos) und Bernhard König (Texte) anlässlich des Aktionstages "Mensch, Bielefeld!" am 10. Oktober 2009. Projektauftrag der Bielefeld Marketing GmbH im Rahmen von „Ab in die Mitte 2009“. In Zusammenarbeit mit Theaterwerkstatt Bethel und Antenne Bethel.

Einen Monat lang haben sich jugendliche und erwachsene Reporter aus dem Umfeld der Theaterwerkstatt Bethel auf eine Forschungsreise durch Bielefeld begeben, um die Lieder einer Stadt zu sammeln: Lieder, die ein Stück Biographie, eine besondere Geschichte oder Stimmung transportieren.

Entstanden ist dabei eine überbordende Sammlung von verrückten und alltäglichen, todtraurigen und heiteren, beklemmenden und berührenden Liedergeschichten. In den inszenierten Porträts der Fotokünstlerin Jane Dunker wurden diese Geschichten zu einem Bilderbogen, in dem sich die Stadt in ihrer ganzen Vielfarbigkeit und Vielgestaltigkeit abbildete.

Zugleich bildeten diese Bielefelder Liedergeschichten einen ergiebigen Fundus zur weiteren musikalischen und theatralischen Umsetzung. Am 10. Oktober 2009 waren diese Inszenierungen im Rahmen des Aktionstages „Ab in die Mitte“ zu hören und zu sehen. Eine Auswahl von Geschichten und Fotos wurde im Programmheft dieses Aktionstages sowie auf großformatigen Plakatwänden veröffentlicht.

 

Ausführlicher Programmtext
"Kommt nicht in die Tüte": Musikalische Beiträge zum Aktionstag
Mitwirkende und Unterstützer

 

 

Ausführlicher Programmtext


Von Bielefelder Menschen erzählt dieses Projekt: Von Menschen unterschiedlichster Generationen, Gesellschaftsschichten und Nationalitäten, von „Bethelanern“ und Innenstadtbewohnern, Alteingesessenen und Zugereisten.

Und von ihren Liedern: „Volks-Liedern“ in einem ganz ursprünglichen Sinn; gesungenen, erinnerten, gelebten Liedern jenseits des glatten Perfektionismus kommerzieller Massenproduktion. Liedern, wie man sie im Fußballstadium, in der Kirche oder unter der Dusche singt. Manchmal bleibt ein solches Lied hängen, wird zum persönlichen Lieblings- oder Lebenslied, verankert sich in einer Biographie und bleibt für den oder die Betreffende fortan untrennbar mit einer ganz besonderen Geschichte, Stimmung oder Erinnerung verknüpft: Erste Verliebtheit oder traumatische Abneigung. Tiefe Trauer oder überschäumende Lebenslust. Glückliche Kindheit oder beklemmender Anklang an dunkle Zeiten...
Stärker als im bloßen Erzählen und Erinnern sind in solchen „Lebensliedern“ oft sehr intensive Emotionen gespeichert: Uralte Menschen fühlen sich in ihre Jugend zurückversetzt. Gestandene Erwachsene werden plötzlich ausgelassen, albern oder verletzlich. Demenzkranke oder andere Menschen, die mit Sprache nur schwer zu erreichen sind, können „via Lied“ in Dialog mit ihrer Umgebung treten.

Einen Monat lang sind jugendliche und erwachsene „Liederreporter“ aus dem Umfeld der Theaterwerkstatt Bethel unter Anleitung von Bernhard König durch die Stadt gezogen und haben Bielefelderinnen und Bielefelder nach „ihrem“ Lied und der dazugehörigen Geschichte befragt: Auf der Straße und in der Universität, in Altenheimen und Sozialeinrichtungen, in religiösen Gemeinden und interkulturellen Begegnungszentren.

Parallel dazu wurden einige der Interviewten von Jane Dunker fotographisch porträtiert. In Zusammenarbeit mit den dargestellten Personen wurden Schauplätze und Situationen inszeniert, die in einem engen Zusammenhang zu den erzählten Geschichten stehen.
Gemeinsam bilden diese Materialien eine Art „virtuelles Bielefelder Lieder- und Geschichtenbuch“: Eine überaus persönliche und eigenwillige Sammlung, die die Stadt in ihrer ganzen Vielfarbigkeit und Vielfältigkeit abbildet.
Die Lieder und Geschichten stehen nicht für sich, sondern sind Kristallisationspunkt für Gespräche, Rückfragen, biographische Forschungsarbeit – und, davon ausgehend, für ein ganzes Bündel an künstlerischen Aktivitäten, die sich autonom und getrennt voneinander entwickeln, die aber alle auf ein gemeinsames Ziel hinstreben: Auf den Aktionstag „Mensch, Bielefeld!“ am 10. Oktober 2009.

Eine Stadt in Bewegung: Der Aktionstag

Straßentheater-, Musik- und Tanzperformances an besonderen Orten in der Innenstadt. In verborgenen und öffentlichen Räumen; an Orten, die jeder Bielefelder kennt und solchen, die kaum einer je gesehen hat.
Fotografische Porträts Bielefelder Bürgerinnen und Bürger, die sich selbst und ihr persönliches „Lebenslied“ in Szene setzen: Im Programmheft des Aktionstages und an verschiedenen Stellen in der Stadt auf großformatigen Plakaten.
Ein musikalischer Sternmarsch in der Abenddämmerung: Bläserchöre, Sambaprozessionen, Kinderzirkusgruppen ziehen spielend durch die Altstadt, ihre Wege kreuzen sich und bilden ein sich verdichtendes Netz rund um die Neustädter Marienkirche.
Auf dem Kirchplatz dann: Eine musikalische Begegnung all dieser Gruppen. Aus der vorangegangenen, zufälligen Vielstimmigkeit wird eine auskomponierte „Polyphonie der tausend Lieblingslieder“, in die jeder einstimmen kann.
Und zum Ausklang: Ein gemeinsames Konzert Bielefelder Chöre in der Marienkirche. Hochkarätige Chorkompositionen, zwischen denen, in kurzen Intermezzi, letzte Anklänge an einen bewegten Tag aufschimmern.
All diese Beiträge zum Aktionstag am 10. Oktober können auf ganz unterschiedliche Weisen erlebt werden: Als amüsante oder irritierende Belebung des öffentlichen Raumes, in die man als Passantin oder Passant zufällig hineingeraten ist. Als Teil eines bunten Straßenfestes, durch das man sich treiben lassen und von dem man sich überraschen lassen kann. Als gezielt aufgesuchte Einzelveranstaltung (beispielsweise: für die Besucher des abendlichen Kirchenkonzertes), das durch ein buntes „Vorprogramm“ eingeleitet wird.
Oder auch: Als ein groß angelegtes, innerstädtisches „Gesamtkunstwerk“, dessen einzelne Bestandteile durch ein Netz von „roten Fäden“ miteinander versponnen sind. Ein- und dieselbe Geschichte, ein- und dieselbe porträtierte Person kann auf verschiedenen Ebenen auftauchen: Als Stoff einer Straßenperformance, als musikalische Inszenierung in der Straßenbahn, als Abbildung auf einer Plakatwand oder als Bläserarrangement im Rahmen des Sternmarschs.

Konzipiert werden die einzelnen Beiträge zu "Was bewegt die Stadt" von zahlreichen Bielefelder Akteuren unter der künstlerischen Gesamtleitung von Matthias Gräßlin (Theaterwerkstatt Bethel) und Ruth Seiler (evangelisches Stadtkantorat Bielefeld).

 

 

"Kommt nicht in die Tüte": Musikalische Beiträge zum Aktionstag

Zentrales Ereignis des Aktionstages war die Stadtbespielung der Theaterwerkstatt Bethel. Schauspieler, Musiker, Artisten und Performancekünstler führten das Publikum von Schauplatz zu Schauplatz: An verborgene und öffentliche Räume; an Orte, die jeder Bielefelder kennt und solche, die kaum einer je gesehen hat. Ein Blick hinter die Kulissen und Fassaden der Stadt - und ein Blick in die Herzen der Bielefelder, deren ureigenste Anekdoten, Erinnerungen und Emotionen zum Ausgangspunkt für vielfältige Straßentheater-, Musik- und Tanzperformances wurden.

Die Theatermacher Matthias Gräßlin, Katrin Nowak und Tanja Krüger hatten zu diesem Zweck sehr unterschiedlich zusammengesetzte Künstlergruppen gebildet: Junge und ältere, Menschen mit und ohne Behinderung, Alteingesessene und Zugereiste. Bernhard König hatte mit einem Teil dieser Gruppen eigene Musikstücke und musikalische Beiträge entwickelt.

Musik gegen Musik gegen Obdachlose

Zum Beispiel: "Kommt nicht in die Tüte" - eine musikalische Performance im Eingangsbereich der U-Bahn-Station "Hauptbahnhof", unter Bielefeldern allgemein als "Tüte" bekannt. Seit einigen Jahren wird der Bereich der Rolltreppe mit einer Endlosschleife von "Für Elise" beschallt, um Obdachlose und streundende Jugendliche fernzuhalten. Mit der Band Crimson Tree wurde eine szenische Metal-Version von "Für Elise" erarbeitet, die in der Zwischenebene der U-Bahn-Station aufgeführt wurde. Zusätzlich war am Eingang der Rolltreppe ein Pianist positioniert, der jeden einzelnen Passanten mit dem Themenkopf von "Für Elise" begrüßte.

Klangnetz und Lieblingslieder-Polyphonie

Im "Bielefelder Klangnetz", mit dem der Aktionstag ausklang, wurde die Bielefelder Altstadt musikalisch mit Bethel verwoben.
Nach dem Abendgeläut der Kirchenglocken um 18.15 Uhr setzten sich eine große Anzahl von Chören und Instrumentalgruppen von verschiedenen Startpunkten aus musizierend in Bewegung. Parallel dazu erklang das Turmglockenspiel der Altstädter Kirche, auf dem eigens zu diesem Anlass Melodien aus der Bielefelder Liedersammlung eingespielt worden waren.
Zielpunkt der musikalischen Wanderung war der Neustädter Kirchplatz an der Kreuzstraße. Hier empfing Bernhard König gegen 19.00 Uhr die Musizierenden zu einer abschließenden "Polyphonie der tausend Lieblingslieder": Unter seiner Anleitung brachten die beteiligten Musikgruppen und das Publikum gemeinsam den gesamten Platz zum Klingen.

 

Mitwirkende und Unterstützer

Fotos: Jane Dunker
Idee und Textredaktion: Bernhard König
Organisation: Tanja Krüger
Betreuung Reportageteams: Kika Kern, Tanja Krüger
Texttranskriptionen: Nicole Zielke

 

Die Reporterinnen und Reporter:
Kai Büchner, Jane Dunker, Madeleine Fredebeul, Kika Kern, Ronja Kiesel, Bernhard König, Ruth Kordbarlag, Laura Kreutz, Tanja Krüger, Marie Küpers, Stella Middeldorf, Birte Moser, Gaye Mutluay, Lea Neuberger, Nicole Pasuch, Lara Sariaydin, Matze Schmidt, Alfred Schultz, Gregor Scturz, Jacqueline-Ann Smith, Karsten van Wulfen, Pinar Yildiz, Nicole Zielke

 

Mitwirkende Klangnetz und Lieblingslieder-Polyphonie:
Bläserkreis der Marienkirche, Bielefeld-Didgers (Didgeridoogruppe),
Frauenchor „Eine Frau für jede Tonart“,
Kantorei Bethel und Gosenchor
Kantorei Schildesche und Projektchor Bielefeld
Kirchenchor und Bevoice Ubbedissen
Kirchenchor der Jacobus - und Petrigemeinde
Kirchenchor St. Jodokus
Kinderchor Bethel
Les Benitas (Lesbensambagruppe)
Polizei-Frauenchor Bielefeld
Posaunenchor Eckardtsheim
Posaunenmission Bethel
Raduga, russischer Frauenchor
Sängerkreis Hans Sachs und Arion (Männerchöre)
VokalTotal und M.a.D (Vokalensembles der Neustädter Marienkirche)

Christoph König (Violine)
Miroslaw Tybora (Akkordeon)

Gesamtleitung: Ruth M. Seiler
Komposition: Bernhard König

 

 

Produktion
Mensch, Bielefeld! ist eine Veranstaltung der Bielefeld Marketing GmbH im Rahmen des Landeswettbewerbes „Ab in die Mitte: City-Offensive NRW“. Die Liedersammlung wurde realisiert in Zusammenarbeit mit Theaterwerkstatt Bethel und Antenne Bethel.

 

Mit freundlicher Unterstützung durch:
Altenhilfebereich der Stiftung Sarepta
Bielefelder Laborschule
Bielefelder Tisch e.V.
Caroline Oetker Stift
Haus Emmaus (Stiftungsbereich Behindertenhilfe)
Hospiz e.V. Bethel (Haus Zuversicht)
Internationales Begegnungszentrum Friedenshaus e.V. (IBZ)
Jüdische Kultusgemeinde Bielefeld
Universität Bielefeld
Verein zur beruflichen Ausbildung und Qualifizierung Jugendlicher und Erwachsener (BAJ e.V.)