Zehn Tage Leute (1998)

Ein babylonisches Vergnügen
In: Jane Dunker: "Ein babylonisches Vergnügen", Rheinlandia Verlag (ISBN 3-931509-59-1). Neuabdruck in: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, „Eigensinn und Eigenart. Kulturarbeit von und mit Menschen mit Behinderungen“, Remscheid 1999

Leseprobe:

(...) Begriffe nutzen sich ab im Lauf der Zeit, und wer vom Fach ist, wird bestätigen können, dass die holprige Vokabel „Menschenmitbehinderungen“ sich im routinierten Sprachgebrauch der Insider gerne und oft zu einem bloßen „Menschen“ verkürzt. Auch wir begannen schon bald vereinfachend von dänischen Gruppenleitern und dänischen Menschen zu sprechen, von deutschen Gruppenleitern und deutschen Menschen, und so fort, die Gruppenleiterinnen selbstverständlich inklusive.
Natürlich wollten wir mit dieser Gegenüberstellung keineswegs die dänischen, deutschen, isländischen, italienischen oder portugiesischen Gruppenleiter als Unmenschen abqualifizieren. Es bedarf der gesprochenen Sprache, um hörbar zu machen, dass das Wörtchen Menschen in diesem speziellen Zusammenhang nicht einfach nur „Menschen“ bedeutet, sondern vielmehr „Auch-diese-Menschen-sind-Menschen“. Echten Profis gelingt es bereits mit winzigen atmosphärischen Nuancen - einem leicht insistierenden Blick, einer unmerklichen Verzögerung oder einer etwas bewussteren Artikulation - das Wort in genau diesem Sinne aus der Nachlässigkeit des restlichen Sprachflusses herausstechen zu lassen.
So unscheinbar diese Kleine Betonung auch sein mag, sie erfüllt doch eine wichtige konservierende Funktion: in ihr glimmt gleichsam ein letzter Funke von Emphase, ein ressistenter Restbestand jener Betroffenheit, mit der man und frau einst gegen das Wort Behinderte ins Feld zog.
„Hört her, ihr Normalen und Gesunden“ verkündet die Kleine Betonung, „es ist erniedrigend, eine Person auf ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Krankheiten, Defizite und Beschwerden zu reduzieren, sie mit ihren Gebrechen in eins zu setzen; ihr angeblich Gesunden und Normalen möchtet im täglichen Sprachgebrauch ja auch nicht als Glatzköpfe, Triefnasen, Bleichgesichter, Hängebusen, Fettbäuche oder was auch immer bezeichnet werden.“
Wollte man ihr böse, so könnte man der Kleinen Betonung vorwerfen, dass auch sie nur ein Ausdruck von subtiler Diskriminierung sei, „sag mal, Kleine Betonung“, könnte man ihr entgegenhalten, „findest du wirklich, dass dein penetrantes Insistieren nötig ist? Die Zeiten, wo Behinderte und Neger als Tiere galten, sind doch nun wirklich lange vorbei. In Wahrheit bist doch du es, die einen insgeheimen Zweifel am Menschsein dieser Kreaturen ausdrückt. Gäb’s diesen Zweifel nicht, dann bräuchte es auch dich nicht.“
Als Mitarbeiter im Turmbau-Planungsteam hütete ich mich freilich vor derlei spitzfindigen Begriffsklaubereien - wusste ich mich doch der Kleinen Betonung gegenüber zu einer gewissen Dankbarkeit dafür verpflichtet, der Sprachverwirrung Aufschub geleistet zu haben. Und wär’s auch nur für eine kurze Weile. (...)

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