Serialismus des Humors. Zu Benedict Masons „Chaplin Operas“
Auszug aus meiner (unveröffentlichten) Diplomarbeit “Neue Filmmusik – Zwischen Autonomieverzicht und Funktionstabu”. Köln, 1995
Leseprobe:
(...) Masons Musik schert sich nicht um zeitliche Kontinuität oder räumliche Einheit. Die "Dramaturgie des Zickzack", wie sie diesen Film bestimmt, das Prinzip des Unvorhersehbaren, scheinbar Assoziativ-Zufälligen (etwa im Umgang Chaplins mit allerlei Requisiten, die ihm beiläufig in die Hände geraten) wird bei Mason nicht nur auf die musikalische Binnenstruktur übertragen, sondern auch auf übergeordnete Parameter wie den der musikalischen Stilistik oder den der Erzählhaltung der musikalischen Kommentierung. In chaplineskem Tempo rast die Musik durch verschiedene Jahrzehnte der Filmmusikgeschichte, springt innerhalb weniger Sekunden zwischen "Übersynchronität" und völliger Autonomie hin und her, schwankt in kürzester Zeit zwischen Anklängen an biedere Stummfilmbegleitung und Auswüchsen anarchischen Krawalls.
Eine längere Tanzszene etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - gerät musikalisch zur fröhlichen Kakophonie, die das kracauersche Motiv des betrunkenen Pianisten aufs ganze Orchester überträgt - und ist doch gleichzeitig auch eine gelehrte Abhandlung über ein halbes Jahrhundert Tanzmusik im Film, das hier in denkbar komprimiertester Form in Zitaten und Pseudozitaten anklingt, parodiert und verfremdet wird: Fred Astaire und Frank Sinatra geben sich mit Chaplin ein Stelldichein und werden schon im nächsten Moment von einer trommelnden Kinderhorde überrannt.
Mit alledem konstruiert Mason so etwas wie einen "Serialismus des Humors": Das Lachen selbst und seine möglichen Nuancen werden gewissermaßen zum kompositorischen Material; einem Material, das sich - säuberlich sortiert - auf einer langen Meßlatte einreihen ließe, die vom anspruchsvollen Cineasten- oder Musikologen-Scherz bis zur krachend kalauernden Zote reichen würde.
Am faßbarsten wird diese Bandbreite in der Rolle des Solosprechers, der im Verlauf des Films sämtliche nur denkbaren Verkörperungen eines "Kinoerzählers" durchläuft: Mal produziert er Geräusche wie King Kong oder Donald Duck, mal zitiert er anachronistisch Filmisches, als wären einem Synchronsprecher die Textbücher durcheinandergeraten, dann wieder wird er wahrhaft zum Kino-Erzähler, indem er beginnt, vom Kino zu erzählen - und von seinem Verhältnis zur Musik. Adornos und Eislers Filmmusik-Buch wird ebenso zitiert wie einschlägige Interviewpassagen von Jacques Tati und am Beginn der Sprecherpartie steht eine Passage aus einem Brief Jean Cocteaus an Igor Strawinsky: "Cher Igor, va vite voir le film de Chaplin...". (...)