Für sechs Darsteller, Fl., Kl. (auch Bkl. und Bassetthorn), Pos., Schlzg., Vl., Va., Vc.,
Uraufführung: 29. November 1990, Musikhochschule Köln. Weitere Aufführungen in Berlin und Den Haag (1990/91) sowie als Tourneeprogramm auf verschiedenen Kleinkunstbühnen (1991). Rundfunkmitschnitt des WDR im Rahmen des Rheinischen Musikfestes.
Krahnenbaum Company Köln, Dirigent: Ulrich Wagner
Hans-Jörg(Auftritt von rechts, mit Telephon, kurz nach Ende der Musik):
Echt, un kost 67 Mark 90, mit Drei-D 75 Mark, boahr, echt, un „fighter of the crystallion“ kost 72 Mark 90, echt, voll geil, un un un „world in danger“ kost glaub 49 Mark 90, boahr, aber „space-warrior, echt, kost 159 Mark 90, nee echt hier, hundertneunenfünfzich Mark neunzich, so „schluck!“, ne?, „armwerd!“
„Talk“ verbindet Textfragmente aus verschiedenen Alltags-Jargons der frühen 90er Jahre zu einer Art kabarettistischen Collage. Als Bühnenfiguren treten auf: Eine Hausfrau, eine Managerin, ein Studentenpärchen, ein Computerspiele-Freak und ein alternder Junggeselle.
Talk: Programmtext
Poesie und Small-talk
Während der Vorbereitungsphase des Textbuches für „Talk“ notierte ich über Tage hinweg in U-Bahnen, Kaufhäusern und Radiosendungen alle Dialoge mit, die ich aufschnappen konnte, untersuchte sie auf ihre Eigenheiten und rhythmischen-melodischen Verläufe hin – und musste dabei feststellen, dass meine eigene Kommunikationsfähigkeit durch diese Betätigung mitunter spürbar in Mitleidenschaft gezogen wurde: ständig stolperte ich in Gesprächen über meine eigenen Floskeln und sprachlichen Unregelmäßigkeiten, deren bewusste Wahrnehmung ich nicht mehr abzuschalten vermochte.
Diese Erfahrung bewirkte von vorneherein eine recht ambivalente Haltung gegenüber dem Thema meines Stückes: der alltäglichen Umgangssprache. Es ist ja fast schon eine Binsenweisheit, dass die Inhalte unserer täglichen Konversation mitunter relativ austauschbar sind: Der Anlass für meine morgendliche Unterhaltung im Supermarkt besteht wohl meistens nicht darin, dass ich unbedingt erfahren will, ob meine Nachbarin auch findet, dass es gestern geregnet hat. Zunächst einmal geht es vielmehr darum, überhaupt Kontakt aufzunehmen oder aufrechtzuerhalten, und das funktioniert in unserer Spezies eben nicht mehr über gegenseitiges Beschnüffeln oder Anfassen, sondern über das ritualisierte Austauschen von an sich völlig wertlosen Sachinformationen.
Es scheint also, als redeten wir häufig um des bloßen Redens willen. Das klingt ein bisschen abwertend, doch wenn man einmal versucht, unsere täglichen Gespräche über Fußball, Politik oder schlechtes Kantinenessen tatsächlich als ein „Reden um des Redens willen“ aufzufassen – indem man etwa weniger auf die Inhalte achtet, als stattdessen in die inneren Strukturen dieses small-talks hineinzulauschen – so kann sich dabei eine Poesie von faszinierendem Reichtum erschließen, eine Poesie des Stotterns und Stockens, der Versprecher und Verdrehungen, der überflüssigen Füllwörter und Wiederholungen.
Es existieren freilich keinerlei Übereinkünfte über irgendein „l’art-pour-l’art-Prinzip des small-Talks“, die den „Wert“ solcher Poesie definieren und ihr zu allgemeiner kultureller Wertschätzung verhelfen könnte. Aber es existieren bestimmte alltägliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer diese Poesie wirksam wird.
Will ich einem mir nicht gänzlich vertrauten Menschen meine Sympathie oder Antipathie deutlich machen, um sein beachtendes Interesse werben oder ihm meine Unsicherheit signalisieren, so bietet mir die sprachliche und kulturelle Konvention kaum Mittel, Derartiges direkt zu artikulieren.
Was bleibt, ist die Abweichung von der sprachlichen Norm: eine Schwankung in der Stimme, eine Unregelmäßigkeit im Rhythmus, ein leitmotivisch nach Zustimmung suchendes „Nicht wahr?“ – all die kleinen Ticks und Sprachstörungen, die gemeinsam eine Ebene der täglichen Kommunikation schaffen, auf der vielleicht so manches ausgetauscht wird, was nie über die inneren und äußeren Zensurbarrieren hinweg zu einer konkreten inhaltlichen Äußerung gelangen würde. Normalerweise fällt uns Derartiges kaum bewusst auf, weil unser Wahrnehmungsapparat alles Fehlerhafte unbewusst für uns zurechtzuhören scheint, so dass uns die „musikalischen“ und „literarischen“ Qualitäten unserer Alltagssprache für gewöhnlich entgehen. Glücklicherweise. Denn gerade, indem sie uns entgehen, sprechen sie zu uns.
Die Poesie des small-Talks besitzt also nicht nur ihre eigene Schönheit, sondern auch eine tiefe Not-wendigkeit. Wie alle Poesie ist sie geboren aus der Not, sich durch Inhalte und Worte allein nicht mehr – oder noch nicht- ausdrücken zu können.
Talk: Pressestimmen
(...) Indem er freilich aus seinen Notaten bloß die Floskeln herausfiltert, ist Königs „Talk“ dann aber doch etwas vor allem Entlarvendes geworden: Man hört unsinniges Gerede aus der Büroetage, der Cafeteria, der Wartehalle und am Telephon, mit gleichermaßen nur Floskel und Fragment bleibender Musik unterlegt, man amüsiert sich und kann für den Augenblick vergessen, dass man selbst in eben dieser Weise permanent redet. Die von Bernhard König erarbeitete Performance (...) ist auf weite Strecken fraglos sehr spaßig (...), aber so ganz froh wird man des Lachens nicht: Floskeln sind allemal der Ausdruck von Hilflosigkeit, Resultat einer Befindlichkeit, in die alle Menschen täglich aufs neue geraten, daher taugen sie nicht fürs Poetische, denn solches konstituiert sich als Artefakt immer nur aus der Überlegenheit des bewusst Gestalteten. Deshalb, pardon Bernhard König, scheint mir dieser „Talk“ in erster Linie ein Studentenulk zu sein. (...)
Bergsträßer Anzeiger, 10.10. 1991
Es ist sicher nicht alltäglich, dass in der Kreisstadt zeitgenössische Komponisten mit ihren Werken vorgestellt werden. Insofern ist das Gastspiel der Kölner „Krahnenbaum Company“ am letzten Freitag in der Stadthalle als ein Experiment zu bezeichnen, als ein gewisses Wagnis, denn ein breites Publikum pflegen solche Kompositionen gemeinhin nicht zu finden, vor allem nicht in einer Kleinstadt. Die Veranstalter waren sich dieses Wagnisses bewusst – es endete mit einem vollen Erfolg.
Wetterauer Zeitung, 14.10.1991
(...) Wenn sich so das Lachen, Räuspern und Tuscheln aus den Zuschauerrängen mit dem Räuspern, Lachen und Tuscheln der Darsteller mischt, ist das Publikum an diesem Abend mindestens zum zweiten Mal irritiert – aber ausgesprochen angenehm.
Frankfurter Neue Presse, 11.10.1991
Ein heiteres Spektakulum, das Anlagen zeigt, sich bin ins Uferlose zu verselbstständigen.