Büro für Konzertpädagogik in Zusammenarbeit mit KölnMusik und Westdeutschem Rundfunk.
Abschlusskonzert: 11. Juli 2002, Trinitatiskirche Köln.
Projektleitung: Hayden Chisholm, Stephanie Graßhoff, Ortrud Kegel, Bernhard König, Chao-Ming Tung
Über mehrere Monate hinweg beschäftigten sich sechs Kölner Grundschulklassen mit dem Thema „Musik und Ritual“: Sie besuchten die Gebetsstunde in einer Kölner Moschee, setzten sich mit Mythen und Geschichten unterschiedlichster Herkunft auseinander und erlebten in der Kölner Philharmonie die Aufführung einer buddhistischen Musikzeremonie, bei der Priester-Mönche aus Japan ihre Ritualgesänge, ihre Liturgie und eine "symbolische Lesung" von überlieferten heiligen Texten präsentierten. Vor allem aber haben die Schülerinnen und Schüler selber komponiert. Am Ende dieser Entdeckungsreise in fremde Kulturen standen zwei „rituelle“ Abschlussveranstaltungen in der Kölner Trinitatiskirche. Was die Schülerinnen und Schüler hier zur Aufführung brachten, waren ihre eigenen, von ihnen selbst erfundenen musikalischen Rituale.
Musik und Ritual: Programmtext
Liebe Eltern, Großeltern und Geschwister, liebe Freundinnen und Freunde
Als wir 1997, zum Abschluss unseres ersten Response-Projektes, mit Schülern einer Kölner Grundschule ein Konzert in der Kölner Philharmonie besuchten, sagte eine Schülerin anschließend über eines der dort gespielten zeitgenössischen Orchesterstücke: "Also, ich fand’s toll! Meinem Papa hat’s überhaupt nicht gefallen. Aber das ist ja klar, der hat ja schließlich auch noch nie komponiert."
Auch in diesem Jahr haben, zum nunmehr fünften Mal, Schülerinnen und Schüler aus sechs Kölner Grundschulen mehrere Monate lang improvisiert und komponiert. Über ein halbes Jahr hinweg erhielten sie in regelmäßigen Abständen Besuch von Musikerinnen und Musikern, von Komponisten und von einer Religionspädagogin. Mit jedem dieser Besuche bekamen sie neue Anregungen und wurden nach und nach dazu animiert, eigene Musikstücke zu erfinden. Dabei waren Phantasie, Mut und Disziplin ebenso gefragt, wie die Fähigkeit, aufeinander zu hören und zu reagieren.
Gleichzeitig hatten die Kinder Gelegenheit, ihren musikalischen Horizont zu erweitern: In einem projektbegleitenden Konzertbesuch in der Kölner Philharmonie wurden sie mit einer gänzlich fremdartigen Musik konfrontiert: Mit der Aufführung einer buddhistischen Musikzeremonie, in der Priester-Mönche aus Japan ihre Ritualgesänge, ihre Liturgie und eine „symbolische Lesung“ von überlieferten heiligen Texten präsentierten.
Einen eigenen Zugang zu einer fremden, bislang unbekannten Musik zu finden, ist (neben der Anstiftung zu Selbermachen) eines der wichtigsten Ziele bei den Response-Projekten der Kölner Philharmonie. In den vergangenen Jahren waren die gemeinsam besuchten Konzerte stets im Bereich der "klassischen" zeitgenössischen Konzertmusik angesiedelt. Wenn wir in diesem Jahr bewusst einen anderen Weg gegangen sind und als Bezugspunkt eine religiöse Musikzeremonie ausgewählt haben, so war damit auch von Anfang an klar, dass sich unsere Arbeit diesmal nicht auf den rein musikalischen Aspekt würde beschränken können. Eine ebenso wichtige Rolle wie das Komponieren und Improvisieren spielte die interkulturelle Begegnung und die Auseinandersetzung mit dem Thema "Ritual":
Worum geht es in einem religiösen Ritual? Was können seine Themen sein, an wen richtet es sich? Wodurch zeichnen sich "heilige" Gesänge oder Handlungen aus? Und: an welchen Stellen finden sich Rituale auch im Alltag, auf welche Weise und aus welchem Grund werden alltägliche Handlungen „ritualisiert“?
Bei einer Arbeit mit Schulklassen, die sich aus Kindern konfessionsloser, muslimischer und christlicher Herkunft zusammensetzen, können solche Fragen nicht mit Blick auf eine einzige Religion gestellt werden. So besuchten wir im Verlauf des Projektes eine islamische Gebetsstunde in einer Kölner Moschee, beschäftigten uns mit Mythen und Geschichten unterschiedlichster Herkunft und haben uns als Ort für unsere beiden "rituellen" Abschlusskonzerte bewusst einen Raum ausgesucht, der häufig als Veranstaltungsort für interreligiöse Konzerte und Veranstaltungen dient und durch seine neutrale Ausstattung auch muslimischen und jüdischen Familien den Besuch ermöglicht.
Was Sie heute abend sehen und hören werden, ist also kein bloßes Konzert und auch kein Gottesdienst. Die aufgeführten Rituale entstammen der Phantasie der Schülerinnen und Schüler. Sie lassen sich keiner bestimmten Religion zuordnen, sind aber für die Ausführenden dennoch mit religiösen, magischen oder transzendenten Inhalten verknüpft. Und ähnlich verhält es sich auch mit den Kompositionen von Volker Staub bzw. von Markus Stockhausen, die Sie im Verlauf des Programmes hören werden.
Manche dieser Kompositionen und Rituale werden zunächst gewiss geheimnisvoll und ein wenig fremdartig wirken – ähnlich fremdartig, wie die japanischen Gesänge, die wir zusammen in der Philharmonie gehört haben. Wir möchten Sie deshalb einladen, das „rituelle Geschehen“ zunächst auf sich wirken zu lassen, bevor Sie dann anschließend im Foyer die Gelegenheit haben werden, im Gespräch mit den Akteuren des Abends weitere Hintergründe zu erfahren.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen spannende Erleuchtung, unterhaltsame Besinnung und andächtiges Vergnügen.
Hintergrundartikel
Auszüge aus „Response – Quo vadis?“ von Dr. Claudia Meyer.
(...) Was aber unterscheidet Respone 2002 von früheren Projekten? Ausgangspunkt war erstmals nicht ein Werk zeitgenössischer Konzertmusik, sondern die Aufführung einer religiösen Musikzeremonie, in der japanische Mönche ihre Ritualgesänge, ihre Liturgie und eine symbolische Lesung von überlieferten heiligen Texten in der Kölner Philharmonie präsentierten. (...) Die Eingangsphase war durch unterschiedliche Perspektiven gekennzeichnet. Während Hayden Chisholm zunächst ausschließlich über sein Instrument mit den Kindern kommunizierte, thematisierte Stephanie Graßhoff anhand von Mythen und Geschichten unterschiedlichster Herkunft Zusammenhänge zwischen musikalischer Ursache und außermusikalischer Wirkung, so dass die Kinder eine eigene Idee von Spiritualität entwickeln konnten. (...) Die beteiligten Kinder stammten überwiegend aus sozialen Brennpunkten, in denen konfessionslose, muslimische und säkularisiert christliche Menschen miteinander leben. Die Erweiterung des eigenen Blickwinkels sowie das Kennen lernen unterschiedlicher (...) religiöser Rituale und musikalischer Zeremonien fanden in einer aufgeschlossenen, interessierten Atmosphäre statt. Die nachhaltige Wirkung drückt sich unter anderem in den Kompositionen der Kinder aus. (...) Das Konzert begann mit „unerfüllbaren Wünschen“. Die Kinder versuchten durch die „Beschwörung einer höheren Macht“ eine Hausaufgabenbefreiung zu erreichen, wobei es ihnen gelang, (...) musikalische Geheimformeln und Variationen zu entwickeln, die murmelnd, flüsternd, gesungen und gesummt eine betörende Wirkung ausstrahlten. (...) Im abschließenden Totengedenken rezitierten Kinder auf verschiedenen Emporenebenen Namen von verstorbenen Haustieren. Moppel, Nullpunkt, Burruk, Tweety und andere ehemalige Gefährten wurden zu geblasen Klängen auf zwei ausgebauten Orgelpfeifen in Erinnerung gerufen. (...) Während dieses Response-Projektes wurde den Kindern zugemutet, das Fremde wahrzunehmen und für das eigene Wissen, Sehen und Denken zu erschließen, diese Erfahrungen nicht nur zu machen, sondern gleichzeitig neue zu entwerfen, einen musikalischen Ausdruck für das Empfundene, Wahrgenommene und Erkannte zu finden und umzusetzen. Durch die hör- und sichtbare erfolgreiche Bewältigung dieser Anforderung drückt sich die Nähe zum ursprünglichen Response-Gedanken aus. (...) Bei aller Flexibilität und Offenheit ist Response nicht beliebig. Jenseits von Köln und Frankfurt ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, den Namen Response ohne erkennbar historisches Bewusstsein für unterschiedlichste Aktionen zu verwenden. In Response kann es weder darum gehen, dass Komponisten die Kinder für eigene Ideen und Vorstellungen instrumentalisieren noch um ein beliebiges Erfinden von Musik ohne jeglichen Bezugspunkt. (...) Die bewusste Weiterentwicklung von Response, durch die London Sinfonietta begonnen und das Kölner Büro für Konzertpädagogik weitergeführt, legt die Lebendigkeit und Veränderlichkeit eines Mobiles nahe, welche zwar angeregt und ausgelöst werden kann aber nur bedingt äußerlich steuerbar und kalkulierbar ist. Zugleich bleibt im Mobile die Aufrechterhaltung verschiedener Aspekte garantiert, auch wenn deren Gewichtung zueinander sich je nach betrachtender Perspektive verändert.
(Vollständiger Text in: Festschrift für Siegmund Helms, Hrsg. von Reinhard Schneider, Bosse-Verlag 2003)