Tourneeprogramm der Theaterwerkstatt Bethel. Regie: Kai Büchner und Matthias Gräßlin.
Uraufführung am 22. August 2000, Assapheum Bethel, Bielefeld.
Musik: Betheler Narrenorchester, Leitung Bernhard König
Rund zwanzig geistig behinderte und nichtbehinderte Akteure tourten 2000/2001 mit ihrem turbulenten Theater „Narrenschiff“ nach Sebastian Brandt durch deutsche Lande. Die Musik zu diesem Bühnenstück war eine merkwürdige Mischung aus Melodramen, Seemannsliedern und experimentellen Soundcollagen, mal poetisch, mal bizarr, immer aber höchst individuell eingefärbt durch die stimmliche Ausdruckskraft der geistig behinderten Sängerinnen und Sänger.
Das Betheler Narrenorchester
Rockbands, Orff-Spielkreise oder andere "integrative" musikalische Ensembles mit geistig behinderten Musikern sind heute glücklicherweise keine Seltenheit. Meist geht es bei solchen Initiativen darum, dem jeweiligen musikalischen Vorbild (Rock, Pop, Volksmusik...) so nah wie möglich zu kommen. Ein Leistungsgefälle zwischen behinderten und nichtbehinderten Akteuren ist dabei meist vorprogrammiert.
Das "Betheler Narrenorchester", das eigens für die Bühnenmusik zum Musiktheaterprojekt "Narrenschiff" ins Leben gerufen wurde, geht einen (wenigstens im Bereich der musikalischen Arbeit mit Behinderten) gänzlich neuen Weg: Ausgangspunkt ist nicht eine vorgefertigte musikalische Ästhetik, sondern die einzigartige Mischung aus individuellen Fähigkeiten und Ausdrucksformen der einzelnen Mitspieler. Die drei professionellen Musiker, die am Projekt beteiligt sind, haben nicht die Aufgabe, musikalische Maßstäbe zu setzen oder das Ensemblespiel "zusammenzuhalten", sondern sie ordnen sich ganz und gar der spezifischen Expressivität der geistig behinderten Solisten unter. Die künstlerische Zielsetzung des Narrenorchesters besteht nicht darin, dass alle gemeinsam es schaffen, einen Vierertakt zu spielen oder eine saubere Melodie zu intonieren, sondern darin, der poetischen Ausstrahlung einer geistig behinderten Mundharmonikaspielerin oder der wüsten Virtuosität eines schlagzeugspielenden Epileptikers einen würdigen Rahmen zu liefern.
Die Besetzung des "Betheler Narrenorchesters" reicht von der Plastik-Clarina aus dem Spielwarenhandel bis zu klassischen Orchesterinstrumenten wie Geige, Violoncello oder Tuba, das klangliche Ergebnis ist irgendwo zwischen schräger Seemanns-Folklore und experimenteller Avantgarde-Musik angesiedelt sein. Die Originalkompositionen und -arrangements, die eigens für dieses Projekt geschrieben und erarbeitet werden, reklamieren für sich jenen hochgesteckten Anspruch, der seit Jahren die gesamte Arbeit der Theaterwerkstatt Bethel prägt: Genuine und eigenständige Kunstprodukte zu sein, die nicht an das Mitgefühl oder sozialtherapeutische Know-how der Zuhörer appellieren, sondern ausschließlich an ihren Musikgeschmack und ihre künstlerische Neugierde.