Idee, Libretto und Musik: Bernhard König. Uraufführung: 1. Dezember 1995, Hans-Otto-Theater Potsdam (Regie: Marc Gläser, musikalische Leitung: Frank Strobel, Bühne: Ralf Pfeiffer).
Erstaufführung der Neufassung: 12. November 2000, Junge Oper der Staatsoper Stuttgart (Regie: Andrea Schwalbach, musikalische Leitung: Scott Curry, Bühne und Kostüme: Anne Neuser).
Weit draußen im Weltall lebt auf dem Planeten Lyra das Volk der Lyresen. König Ludus, der Herrscher dieses Volkes, ist verärgert: er weiß keine Lösung gegen die Unzufriedenheit, den Neid und die Missgunst, die unter seinen Planetenbewohnern herrschen. Selbst seine königlichen Wissenschaftler können ihm nicht helfen. Auf keinem ihrer bisherigen Erkundungsflüge ins restliche Weltall haben sie ein Mittel gegen diese Unzufriedenheit gefunden - bis es eine lyresische Wissenschaftlerin zufällig in eine bislang unerforschte Seitenmilchstraße verschlägt. Dort, auf einem kleinen, unwirtlichen Planeten namens „Erde“, leben die „Menn-schenn“: halbwegs intelligente Wesen, die ein geheimnisvolles Wundermittel namens „Musik“ besitzen. König Ludus ist begeistert: „Mmmuuusssiiik! Das klingt gut. Aber was ist das überhaupt, Mmmuuusssiiik?“
Eine scheinbar einfache Frage, deren Beantwortung sich jedoch für die außerirdischen Wissenschaftler als sehr, sehr schwierig erweist...
"Expedition zur Erde" ist in einer eigenen Hörspielfassung als CD-Produktion von Deutscher Grammophon und WDR erschienen.
Expedition zur Erde: Beispiel aus dem Textbuch
3. WISSENSCHAFTLER:
Schon die alten Ägypter machten Musik...
1. WISSENSCHAFTLERIN:
...auch die Babylonier machten Musik...
3. WISSENSCHAFTLER:
...ebenso Musik wie auch die Phönizier...
2. WISSENSCHAFTLER:
...Eskimos...
1. WISSENSCHAFTLERIN:
...und Makkabäer...
3. WISSENSCHAFTLER:
...und während für Syrien zahlreiche Quellen auf ein reges Musikleben hindeuten...
2. WISSENSCHAFTLER:
...umfasste das kaiserliche Hoforchester im China der Han-Dynastie 132 Gegenschlagidiophone, 69 Spaltlochbügelflöten, 27 Knickbogenwinkelharfen und 258 Schüttelklinger mit einstimmbarer Anschlagsmembran, die verschiedentlich...
KÖNIG LUDUS:
Genug! Was soll dieses Affentheater!? Das ist kein Wundermittel, das ist nicht erheiternd und entspannend und beruhigend, das wird unsere Probleme nie lösen!
Geht! Geht mir aus den Augen und kommt erst wieder, wenn ihr mir zeigen könnt, was „Musik“ ist!
Expedition zur Erde: Besetzung
Personen: König Ludus, Herrscher aller Lyresen (Schauspieler)
1. Wissenschaftlerin (lyrischer Mezzosopran)
2. Wissenschaftler (Tenorbuffo)
3. Wissenschaftler (Bassbuffo)
Hofnärrin (Schauspielerin)
Erzähler (Sprecher)
Erste Hofschranze (Sopran)
Zweite Hofschranze (Alt)
Orchester: Flöte
2 Klarinetten (Spieler 1 auch Bkl, Spieler 2 auch Sopr.-Sax und Ten.-Sax)
Fagott (auch Kfg)
Horn
2 Schlagzeug
(Spieler 1: Vibraphon, Marimbaphon, Celesta, div. Geräuschinstrumente,
Spieler 2: Pauken, Schlagzeug-Set, Marimbaphon, div. Geräuschinstrumente)
Harfe
2 Violinen
Viola
Violoncello
Kontrabass
Expedition zur Erde: Hintergrundinformationen
„Expedition zur Erde“ entstand zwischen 1992 und 1994. Die Komposition erhielt einen Förderpreis des „Wiener Internationalen Kompositionswettbewerbes“. „Expedition zur Erde“ wird von professionellen Musikern ausgeführt, richtet sich aber gezielt an Kinder als Publikum.
Inhaltlich geht es in dem Stück um den fernen Planeten Lyra, auf dem das Volk der Lyresen lebt, die durch Zufall im Weltall einen kleinen, unwirtlichen Planeten namens Erde entdeckt haben. Dessen Bewohner, die »Menn-schenn«, besitzen offenbar ein geheimnisvolles Wundermittel namens »Musik«. In mehreren Erkundungsflügen versuchen die Lyresen nun herauszufinden, was sich hinter diesem Begriff verberge.
Im Mittelpunkt des Stückes steht also die ebenso schlichte wie unbescheidene Frage »Was ist Musik?«. Das Textbuch und die Partitur bieten keine endgültige Antworten oder definitorische Grenze an. Stattdessen werden verschiedene Facetten durchgespielt: Ernstgemeinte und absurde Exempel dafür, was Musik alles sein kann oder sein könnte. Da werden zum Beispiel von den außerirdischen Wissenschaftlern Musikkassetten und CDs pulverisiert, chemisch untersucht und zu einer flüssigen Substanz verarbeitet. Das Ergebnis ist zwar nicht das erhoffte »Wundermittel«, doch der alchimistische Prozess selber ist in der Partitur genau auskomponiert (als »Co-Librettist« fungierte hier ein Chemiker der Kölner Universität) und wird von der Hofnärrin, der zentralen Identifikationsfigur des Stückes, bestaunt wie ein Musikstück.
Die eigentliche »Antwort« wird zu guter Letzt an die eigene Erfahrung des Publikums delegiert. Die Bühnenhandlung bleibt offen, aber die Lyresen kehren am Schluss auf die Erde zurück, um gemeinsam mit dem Publikum der Oper ein »intergalaktisches Musikfest« zu feiern.
Einkomponierte Musikvermittlung
Rund ein Jahrzehnt, bevor in Deutschland der große "Musikvermittlungs-Boom" begann, wurde dieser Kinderoper als zentrale Idee ein interaktives und musikvermittlerisches Element "einkomponiert". Das "Intergalaktische Musikfest" beinhaltet große Gestaltungsspielräume und vermag das Publikum in vielfältigen und direkten Kontakt mit den verschiedensten Elementen von Musiktheater zu bringen. Beispielhaft war die Umsetzung als interaktiver Hör- und Klangparcours in der Stuttgarter Inszenierung (siehe hierzu die Projektbeschreibung und Dokumentation des Kindermuseums Stuttgarter Exploratorium).
Diesem freien und experimentellen Teil steht eine detailliert aufgezeichnete Partitur gegenüber, die stilistisch keine besonderen Konzessionen an ihre Zielgruppe macht – abgesehen von einem vollständigen Verzicht auf die Opernkonvention des theatralischen Singens. In Expedition zur Erde wird zunächst ausschließlich gesprochen, und dort wo gesungen wird, steht das Singen selbst, das »Singenlernen«, »zur Stimme Finden« oder »Um-die-Wette-Singen« im Mittelpunkt der Handlung.
Bei aller musikalischen Kompromisslosigkeit war es mir allerdings dennoch wichtig, die Kinder im Publikum stets mitzudenken und ihnen Rezeptionsangebote zu machen. Das können mitunter auch kleine Anstiftungen zur Respektlosigkeit sein: So gibt es beispielsweise gegen Ende eine Stelle, in der es in der musikalischen »Erwachsenenwelt« drunter und drüber geht, worauf sich die Hofnärrin als zentrale Identifikationsfigur einfach die Ohren zuhält und sich so - Ohren auf, Ohren zu - ihre eigene Musik kreiert.
Expedition zur Erde: Zur Entstehungsgeschichte
Die ersten Skizzen zu dieser Oper machte ich im Alter von siebzehn Jahren und in den zehn Jahren bis zur Fertigstellung hatte ich reichlich Gelegenheit, die Höhen und Tiefen des Komponistenberufs kennen zu lernen: Auf der einen Seite viele Vorschußlorbeeren bis hin zu einem internationalen Förderstipendium, auf der anderen Seite eine nie abbrechende Kontinuität des Scheiterns, geplatzte Verträge, verpasste Wettbewerbsfristen, heftige Konflikte mit einem potentiellen Verleger, wochenlanges Sich-Verrennen in konzeptionellen Sackgassen - es war eine quälend langsame und schmerzhafte Geburt. Als das Stück dann endlich fertig war, sah es zunächst so aus, als ob keiner es spielen möchte. Die Uraufführung, die nach einem Jahr dann doch zustande kam, ließ hinsichtlich ihrer musikalischen Qualität nichts zu wünschen übrig und es war viel Geld, Energie und Engagement in die Realisation investiert worden, vor allem in ein opulentes Bühnenbild mit allerlei Licht- und Lasereffekten. Aber mit meiner »Utopie«, mit dem, worum es mir im Kern gegangen war, war ich erneut gescheitert. Der interaktive Teil fiel komplett unter den Tisch, es gab keine wirkliche Begegnung mit dem Publikum, die Kinder blieben außen vor. Da auch die Presseresonanz eher dürftig ausfiel, konnte ich nicht mit einer Nachfolgeproduktion rechnen. Ich versuchte es dennoch, schickte das Stück immer wieder an verschiedene Opernhäuser und erhielt regelmäßig die gleiche Antwort: Großes Lob für das Stück, aber leider kein Platz im Spielplan für ein so aufwendiges und experimentelles Kinderstück.
Nach fünf Jahren vergeblichen Klinkenputzens, als ich die Hoffnung längst aufgegeben hatte, kam durch Zufall der Kontakt mit der Stuttgarter »Jungen Oper« zustande - einer Einrichtung, deren Philosophie und Infrastruktur wie maßgeschneidert zu meinem Stück passte. Was dann folgte, war eine meiner beglückendsten beruflichen Erfahrungen. Ein sehr lebendiger Produktionsprozess, in dem die Kinder als anvisiertes Publikum zu allen Phasen präsent waren (vor und hinter den Kulissen sowie in den Köpfen der Verantwortlichen); eine wunderbar verspielte Inszenierung, die konsequent auf einen abschließenden Parcours zielte, in dem das Publikum sich im ganzen Haus verschiedene Klangräume und bespielbare Installationen eroberte. Den Abschluss bildete ein kurzes gemeinsames Musikstück, bei dem Publikum, SängerInnen und Orchestermusiker zusammen summten, pfiffen, sangen und dirigierten. Diesmal ging das Konzept auf, und für mich wurde aus einem Schmerzenskind, von dem ich mich innerlich bereits verabschiedet hatte, plötzlich ein Erfolgsstück mit über dreißig ausverkaufte Aufführungen, Hörfunk- und CD-Produktion und großer überregionaler Resonanz. Am meisten freute es mich, zu sehen, wie ganze Schulklassen und einzelne Kinder, darunter auch meine eigene Tochter, im Umfeld der Aufführung selber begannen, sich diese Frage zu stellen: »Was ist denn eigentlich Musik?«
Expedition zur Erde: Ausgewählte Pressestimmen
«Eine wunderbare Geschichte, die Bernhard König in seinem intergalaktischen Musiktheater für alle ab sechs Jahren erzählt.»
(Klassik heute, Januar 2001)
«Mit der Premiere ihrer siebten Produktion, dem intergalaktischen Musiktheater "Expedition zur Erde" von Bernhard König, hat die Junge Oper der Staatsoper Stuttgart einen geradezu kosmischen Erfolg gefeiert.»
(Schwarzwälder Bote, 15.11.2000)
«Ein pfeifendes, rasselndes, brodelndes, aber auch frei schwebendes Tonkunststück, dem Erdlinge aller Altersstufen wie gebannt folgten. (...) Bei Königs vitaler Musik gehen einem unentwegt die Ohren über.»
(Märkische Allgemeine, 2. Dezember 1995)
«Intellektualismus wird der Neuen Musik noch heute oft vorgeworfen (...) Wenn nun aber die Kinder mit den angeblichen Dissonanzen wie selbstverständlich aufwachsen? Schöne Vorstellung.»
(Südwest Presse, 25.11. 2000)
«Eine Uraufführung der galaktischen Art (...), die die fast mucksmäuschenstillen Kinder über 70 Minuten lang auf ihren Plätzen fesselte.»
(Potsdamer Morgenpost, 2.12.1995)
«Es scheint, dass König mit seinem Lehrer Mauricio Kagel die Lust an musiktheatralischen Eulenspiegeleien teilt.»
(Üben und Musizieren, 1/2001)
»Ein schwereloses Traumspiel, naiv und niemals zeigefingernd, dennoch mit höherem (und tieferem) Sinn.»