für eine Chansonsängerin, einen Schauspieler, vier Instrumente und Tonband.
Uraufführung: 13. Oktober 1995, Konzertsaal der Musikhochschule Köln.
Krahnenbaum Company Köln (Michael Dartsch, Ortrud Kegel, Holger Peters, Bernhard König), Jenny Renate Wicke (Gesang), Anne Kordbarlag (Tanz), Christoph Kolb (Sprecher), Matthias Gräßlin (Regie), Franz Klee (musikalische Leitung)
Mein persönlichstes Stück. Seit meinem siebten Lebensjahr schrieb und produzierte ich Gedichte, Hörspiele und Filme, die gewissermaßen den Nährboden für all meine spätere künstlerische Betätigung bilden. Die Bandbreite dieses kindlichen Oeuvres reicht von skizzenhaften Miniaturen, die im Verlauf eines einzigen Nachmittages entstanden, bis zu ehrgeizigen Film- und Hörspielprojekten mit zahlreichen Mitwirkenden, mit deren Umsetzung ich mehrere Wochen oder Monate zubrachte. "Kirschen mit Flickdaum" ist eine rückblickende, künstlerisch-autobiographische Auseinandersetzung mit diesen eigenen Gedichten und Hörspielen. stellt das 1995 entstandene szenische Spektakel „Kirschen mit Flickdaum“ dar: Elemente aus Revue und Hausmusik, Kriminalhörspiel und Melodram verbinden sich zu einer musiktheatralischen Reise in die Phantasiewelt eines Kindes.
Kirschen mit Flickdaum: Programmtext
Ich weiß nicht genau, wann ich begonnen habe, Hörspiele zu machen. Als Drei- oder Vierjähriger phantasierte ich des öfteren in ein Mikrophon hinein, das meine Eltern mir zu Dokumentationszwecken und zur Erfüllung ihres eigenen Spieltriebes entgegenstreckten.
Später, etwa ab meinem 8. Lebensjahr, begann ich mit einem primitiven Tonbandgerät systematisch, akustische „Geräuschkataloge“ anzulegen, um mit den gesammelten Materialien Geschichten zu untermalen, die ich anfangs alleine auf Band sprach, später dann meine Klassenkameraden nach vorgefertigten Textbüchern ablesen ließ.
Auf diese Weise entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche Grusel- und Abenteuerhörspiele, satirische „Rundfunkprogramme“ mit Werbespots, Reportagen, Interviews und Quizsendungen, kleine akustische Sketche und großangelegte „Hördramen“ von epischen Ausmaßen.
Das Hörspiel „Kirschen mit Flickdaum“ (der Titel entstammt einem merkwürdigen improvisierten Werbespot, den ich mit etwa vier Jahren auf Tonband sprach) setzt sich im Wesentlichen aus Fragmenten dieser umfangreichen jugendlichen Hörspielproduktion zusammen.
Zum Teil wurden diese Ausschnitte als Original in ihrer „unvollkommenen“ Gestalt und „mangelhaften“ Tonqualität belassen, viele Dialoge wurden aber auch mit professioneller Technik und erwachsenen Sprechern neu produziert. In keinem Fall wurde ein Wort verändert, alle Texte stammen aus der Feder des 8-13jährigen. Ergänzt wurden diese Dokumente und Rekonstruktionen durch eine Neuvertonung mehrerer Gedichte, die ich ebenfalls zwischen meinem siebten und zehnten Lebensjahr schrieb.
Anfangs stand ein autobiographisches Interesse an diesem Material für mich sehr im Vordergrund, doch je länger ich mich damit beschäftigte, umso mehr verlor sich dieser Aspekt. Stattdessen ließ ich mich von der Vorstellung leiten, überlieferte Bruchstücke einer mir völlig unbekannten Erzählung vor mir zu haben, die es in archäologischer Kleinarbeit zu rekonstruieren gelte – ein Puzzlespiel, in dessen Verlauf sich besondere Vorlieben für hartnäckig wiederkehrende Motive herauskristallisierten: Flugzeugabstürze, Schatzsuchen, wochenlange Wanderungen durch den Urwald oder hektische Verfolgungsjagden.
Bei der Umsetzung des so entstandenen Hör-Mosaiks wurde die verfügbare Tontechnik stets als das betrachtet, was 15 Jahre zuvor auch das erste billige Tonbandgerät gewesen war: als Spielzeug.
Manchmal wurde dieses Spielzeug dazu verwendet, die einstigen Träume des kindlichen Autors ernst zu nehmen und im Nachhinein zu erfüllen, indem spannendes oder gruseliges Hörspielgeschehen möglichst perfekt und ungebrochen illustriert wurde. Manchmal wurden umgekehrt gerade jene Aspekte im kindlichen Spiel untersucht, die erwachsener Überheblichkeit oft als „unvollkommen“ oder „unfreiwillig komisch“ erscheinen, die aber ebenso gut als unverstellter Blick für das Wesentliche interpretiert werden können. So mischen sich in manchen Passagen des neuproduzierten Hörspiels digitale Profigeräusche mit hausgemachtem Krach aus dem 70er-Jahre-Kinderlabor, verwandelt sich ein deutscher Wald mit Kuckuck in den „Urwald von Kenia“ oder die heimische Kellertreppe in eine Steilküste.
Und manchmal schließlich wurde das Tonbandgerät vollends zum Spielzeug des interpretierenden und reflektierenden Erwachsenen – etwa wenn sich in einer ziel- und richtungslosen akustischen Verfolgungsjagd Kinder und Erwachsene wechselseitig nachstellen und dabei gleichzeitig versuchen, jene Vorbilder aus Funk und Fernsehen einzuholen, von denen sie verfolgt werden.
Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Ästhetik eines Zehnjährigen war nicht immer leicht; im Gegensatz etwa zu vielen bildenden Künstlern lassen wir Komponisten uns oft nur ungern an die kindlichen Wurzeln unseres eigenen Schaffens erinnern, sind allzu häufig (darin pubertierenden Jugendlichen nicht unähnlich) verbissen bemüht, uns der Erwachsenheit unseres Tuns zu vergewissern. Die unzensierte Plakativität und präzise Klischeehaftigkeit der alten Hörspiele, die aufrichtige Sentimentalität mancher Kindergedichte setzten mir bei meiner Arbeit ungewohnte Maßstäbe, die in spannungsvoller Konkurrenz zum seit Jahren verinnerlichten Regelwerk eines „anspruchsvollen“ Komponierens und Hörspielmachens standen.
Kirschen mit Flickdaum: Verzeichnis der zitierten Original-Materialien
1) Gedichte
„Das Ziemlich-Gedicht“ (1974)
„Kaufhausdiebe“ (1975)
„Die Kuh“ (1976)
Der Räuber“ (Ballade in zwei Teilen, 1976)
„Großstadt“ (1976)
„Western in Gedichtform“ (1977)
„Weihnacht“ (1977)
„Die Fische“ (1977)
„Strafarbeit“ (1977)
„Wir Heizölscheiche, Wüstensöhne“ (1977)
„Fritzchen“ (1977)
„Der Besoffene“ (1977)
„Geisterstunde“ (1977)
„Bernhard als Drei- bis Vierjähriger“ (1970/71)
„Katze und Hund“ (ca. 1975)
„Geisterstunde“ (ca. 1975)
„Die Schatzsuche“ (ca. 1975)
„Der Flugzeugabsturz“ (1976)
„Das Geisterschloss“ (1976)
„Der Sioux-Express“ (1976)
„Was tun Sie gegen die Umweltverschmutzung?“ (Umfrage, 1976)
„Von Tripolis nach Kenia“ (Abenteuerhörspiel, 1976)
„Der Pilot“ (1977)
„Der Dieb“ (1977)
„Die Kuh auf Schienen, Version I – III“ (1977)
„Für Haus und Familie“ (fiktive Radiosendung, 1977)
„Sport am Feierabend“ (fiktive Radiosendung, 1977)
„Kaufen Sie das“ (Radiosendung mit Werbespots, 1977)
„Tagesschau / Angriff der Marsmenschen“ (Version I, 1977)
„Mit Musik zum Mittagsschlaf“ (Radioprogramm mit Interviews, 1977/78)
„Schnelli – Schnelli“ (satirische Quizsendung, 1978)
„Der Brillenmörder“ (Krimi, 1978/79)
„Tagesschau / Angriff der Marsmenschen“ (Version II, 1979)
„Verschollen in Kenia“ (Abenteuer-Epos, 1979)
„Das Wehrschwein“ (Hörspiel-Skript, unrealisiert, 1979)
„Die Ausreißer“ (1981)
Kirschen mit Flickdaum: Beispiele aus dem Textbuch
Die Kuh (1976)
Eine Kuh
Sagt sich „Muh“,
ich fress’ Gras
immerzu.
Wenn ich das
mal nicht tu,
kommt der Bauer
im Nu,
und melkt mich
immerzu.
Puh!
Strafarbeit (1977)
Die Lehrer, dieses „schlaue“ Volk
geben ohne viel Erfolg
wenn die Schüler böse sind,
eine Strafarbeit geschwind.
Doch das schadet denen wenig,
wie auch mir, dem Bernhard König.
Denn ich werde frecher nur,
wenn versucht man seine Tour.
Das beweist auch dies Gedicht,
das ich schrieb im Sonnenlicht,
und dabei auch sehr oft lachte,
wenn ich an die Lehrer dachte.
Das Gedicht beend’ ich nun,
denn zu viel will ich auch nicht tun.