Projektauftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW. Urafführung: 8. November 1998, Ravensberger Spinnerei Bielefeld.
Ensembles und AGs der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schulen Bielefeld und der Theaterwerkstatt Behtel.
Regie: Matthias Gräßlin. Co-Regie: Kai Büchner. Musikalische Leitung: Martin Gentejohann.
Integratives und fächerübergreifendes Musiktheaterprojekt zum 60. Jahrestag der Pogromnacht. Bei der Uraufführung waren über hundert Bielefelder Gymnasiasten und Sonderschüler an der historischen Recherche, am Bühnenbild, an der Gestaltung des Textbuches sowie an der musikalischen und szenischen Umsetzung beteiligt.
„9. Nov. - Eine historische Revue“ thematisiert nicht nur Pogromnacht und Mauerfall, sondern es werden daneben auch weitere vielfältige Facetten dieses Datums beleuchtet. Auch unbekannte, teilweise alltägliche Anekdoten und Merkwürdigkeiten, die sich an diesem Tag zugetragen haben, finden in dem Stück ihren Platz. Gerade durch die Konfrontation mit solchen Alltäglichkeiten stellte sich für die Mitwirkenden die schwierige Frage, ob und wie sich Geschehnisse wie die der „Reichskristallnacht“ überhaupt mit Mitteln des Theaters und der Musik „darstellen“ lassen.
Für die über hundert Bielefelder Schüler, die bei der Uraufführung an den verschiedenen Stadien des Theaterprojektes beteiligt waren, wurde die kreative Auseinandersetzung mit solchen Fragen zum hautnahen Geschichtsunterricht. Eine mitwirkende Schülerin vermerkte, sie habe „in den wenigen Monaten der Erarbeitung mehr gelernt (...) als in mehreren Jahren Geschichtsunterricht“ und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt konstatierte: „Geschichte kann lebendig werden, wenn Schüler sie spielen wie in Bielefeld“.
9. Nov.: Kommentare mitwirkender Schüler
«Auch die Desinteressiertesten in Geschichte haben etwas für die Rolle nachgelesen und durch das eigene Engagement mehr hinzugelernt als in dem langweiligen Geschichtsunterricht. Dadurch behält man das auch viel besser in Gedanken. Das Datum 9. November wird uns in Zukunft immer an das Stück erinnern und zwangsläufig auch an unsere historisch geprägte Vergangenheit.» (Christiane, 17Jahre und Derman, 17Jahre, Darsteller aus Grünstadt)
«Auch ich habe persönlich das Gefühl, in den wenigen Monaten der Erarbeitung mehr gelernt zu haben als in mehreren Jahren Geschichtsunterricht. Der 9. Nov. ist eben kein stures Aufarbeiten geschichtlicher Fakten. Durch die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit und das Schlüpfen in historische Figuren fällt es leichter, Entwicklungen, Handlungen und Motive nachzuvollziehen, sowie die Schrecken zu begreifen – wenn auch nur ansatzweise.» (Anna-Gesa, 16 Jahre, Darstellerin aus Bielefeld)
«Ich kann mir die jeweiligen geschichtlichen Personen jetzt richtig bildlich vorstellen. Ich habe alle behandelten Daten noch im Kopf. Das ist tausendmal besser als Geschichtsunterricht.» (Luzie, 13 Jahre, AG Neue Musik Grünstadt)
«Das Stück hat mich sehr überrascht, denn es hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Es hat aber auch zum Nachdenken angeregt, denn es wird einem richtig klar, wie jetzt hauptsächlich das 20.Jahrhundert verlaufen ist und was auch für schlimme Dinge passiert sind, über die man sich normalerweise keine Gedanken macht.» (Martin, 15 Jahre, AG Neue Musik Grünstadt)
«Wenn meine Eltern sich früher beim Abendbrot über Geschichte unterhalten haben, saßen meine Schwester und ich dumm rum. Jetzt sitzt nur noch meine Schwester dumm rum.» (Stefanie, 12 Jahre, Darstellerin Bielefeld)
«Die Diskussionen mit dem Komponisten haben mir einen neuen Zugang zur Neuen Musik verschafft. Ich finde sie jetzt zwar keineswegs gut. Obwohl es, weil es durch Ordnung entstanden ist laut Definition Musik ist, finde ich, dass es nur Geräusche sind. Für mich ist das keine Musik. Das Stück hat mir aber sonst gut gefallen, doch ich muss gestehen, dass ich nicht alles sofort verstanden habe, oft erst nach mehreren Malen. Das macht das Stück schwer für Zuschauer.» (Lukas, 17Jahre, Instrumentalist aus Grünstadt)
«Auch der Wechsel zwischen eher erheiternden und sehr ernsten Szenen war sehr gut getroffen, da sich in diesen Szenen der 'Strudel der Zeit' widerspiegelt: Auf schreckliche Zeiten folgen immer wieder gute, aber auch wenn es den Menschen gut geht, können sie sofort wieder ins Unglück gestürzt werden. Deshalb wirkten die belustigenden Szenen auch durchaus nicht lächerlich oder flach, wie man es manchmal aus dem Publikum hörte, sondern (...) waren ein Gegenstück zu den Szenen, die stumm anklagten und dadurch große Betroffenheit hervorriefen.» (Nina, 18 Jahre, Instrumentalistin aus Grünstadt)
9. Nov.: Pressestimmen
«Hämmer auf Mauersteine. Der Krach schwillt an, bis Glas zerbirst. Stille. (...) Der Chor der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Bethel ist Teil des Schultheaterprojekts "9. November". (...) Die historische Revue setzt einen Querschnitt durch die Geschichte in Szene, ihr Fixpunkt ist dabei immer der 9. November: 1918 Ausrufung der Weimarer Republik, 1923 Hitlers erster Putschversuch, 1938 Pogromnacht (...) Während ihrer Recherche entdeckten die Schüler, dass Geschichte politisch missbraucht werden kann, wenn dieser 9. zum "Schicksalstag der Deutschen von den Nazis stilisiert wurde. Sie gruben aber auch zufällige kleine Geschichten vom 9. November aus: "Heidi" veröffentlicht, das Patent für die Dampfmaschine angemeldet und Mr. Tagesschau Werner Veigel geboren. (...) Geschichte kann lebendig werden, wenn Schüler sie spielen wie in Bielefeld (...)»
(Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 6.11.1998)
«Verträgt sich wirklich der Ernst der Judenverfolgung 1938 mit einem Sketch über die 'Mysterien des Kalenders'? Laut Aussage des Komponisten und Autors sind solche Kontraste Absicht – das bedeutet aber noch nicht, dass sie auf der Bühne funktionieren müssen. (...) Poetisch-beklemmende Momente stehen neben flachen Dialogen oder derbem Klamauk, (...) kurz: der Vielfalt fehlt die Einheit – aber schließlich ist das dargestellte Jahrhundert genau so.»
(Die Rheinpfalz vom 11.11.1999)
«Im ersten Moment mag sich in einem etwas sträuben, (...) dieses Stück Geschichte für tauglich zu halten, daraus eine 'historische Revue' oder ein 'außergewöhnliches Musiktheater' zu machen. (...) In der Tat bleibt kaum anderes als die (ohnehin nicht einseitig auf Entertainment zu reduzierende) Form der Revue - selbst wenn mittendrin das unvergleichlich desaströse Fanal der Reichspogromnacht von 1938 steht.»
(StadtBlatt Bielefeld, 5.11.1998)
9. Nov.: Zum Thema
"Tag des Deutschen Laienspiels" (Essay)
(...) Der Blick hinter die Theaterkulissen fällt freilich manchmal etwas ernüchternd aus. Je bedeutender der Anlass, so will es fast scheinen, desto kläglicher und dilettantischer gerät die Inszenierung. Scheidemanns Ausrufung der Weimarer Republik scheint mehr von einem Stehgreifspiel als von solidem Bühnenhandwerk gehabt zu haben. Hitlers Putsch-Auftritt im Münchner Bürgerbräukeller war, Zeitzeugen zufolge, die reinste Schmierenkomödie. Und am 9.11.1989 nahm eine gewaltige Jubelinszenierung ihren Lauf, bloß weil der oberste Souffleur der DDR versehentlich eine Textzeile vorgesagt hatte, die eigentlich noch gar nicht dran war.
Echte Regieprofis waren nur ein einziges Mal am Werk: 1938. Das Datum „9. November“ war auch diesmal mit Bedacht gewählt. Im ganzen Land waren SA, SS und Hitlerjugend versammelt, um (wie jedes Jahr) die „Blutzeugen der Bewegung“ zu ehren – ideale Voraussetzungen, um ein flächendeckendes, simultanes Volkstheater in Gang zu setzen.
Denn eine von oben verordnete Inszenierung war dieser angebliche „spontane Volksaufstand“ allemal. Das dramaturgische Konzept wurde von Ort zu Ort kaum variiert: Stets war es zunächst eine Handvoll Profis, die eine Szenerie kontrollierter Entfesselung vorführte. Ihre Auftritte waren offenbar überzeugen genug, um dem (vielfach wohlgesonnenen, teil auch angewiderten) Publikum klarzumachen, dass es dreierlei Wahlmöglichkeiten hatte: mitzumachen, zu applaudieren oder zu schweigen.
Die Wahl hatten freilich nicht alle. Für den jüdischen Teil der Bevölkerung war die Inszenierung blutiger Ernst und unfassbare Realität. Publikum zu sein bedeutete hier kein Privileg, sondern den Gipfel der Demütigung: Im fränkischen Fürth wurden viele Juden – darunter auch Kinder, Kranke und schwangere Frauen – gegen 2 Uhr morgens aus ihren Betten gerissen und ins Theater geführt. Die einen kamen auf die grell erleuchtete Bühne, wo sie öffentlich verprügelt wurden. Die anderen mussten sich in den verdunkelten Saal setzen und zuschauen. (...)
(...) Sehr viel ambivalenter fällt das Urteil der Schüler in Hinblick auf die ungewöhnliche musikalische Ästhetik und Arbeitsweise aus. Ein Mitwirkender blieb auch nach Abschluss des Projektes bei der Einschätzung, dass es sich hier nicht um Musik, sondern bloß um „Geräusche“ handele; einer anderen Schülerin erschien die „Mischung aus Neuer Musik und Theater“ als „zu gewagt“. Genau diese „gewagte Mischung“ aber bildet den Kern des musikalischen Konzeptes: In gänzlichem Unterschied zu herkömmlichen Musicals wird in der Chorpartitur von 9. Nov. versucht, eine enge Symbiose von Theaterpädagogik und experimenteller Musik herzustellen. Improvisatorische Arbeitsweisen, wie sie die Theaterpädagogik im Bereich des Sprech- und Bewegungstheaters entwickelt hat, werden auf den musikalischen Bereich ausgedehnt. Die Neue Musik hält für einen solchen Ansatz ein reichhaltiges stilistisches und technisches Repertoire bereit. Entscheidend ist, dass diese musikalischen Techniken und Materialien ein Stück weit von jenen „kopflastig“ akademischen Ansprüchen befreit werden, die auch für viele Musiklehrer oft abschreckend wirken. Stattdessen wird das ausgeprägte spielerische und experimentell-kreative Potential in den Mittelpunkt gerückt, das dieser Musik immer auch zu eigen war.
Schon beim ersten Hören wird offenkundig, dass sich Bernhard Königs Musik weit von dem üblichen klanglichen Repertoire einer schulischen Musicalproduktion entfernt. An die Stelle gefälliger Popsongs treten ungewohnte, für die Schüler zunächst befremdende Klänge. Da wird in Parolen „um die Wette geschrieen“ was das Zeug hält oder, nach dem akustischen Vorbild der Berliner „Mauerspechte“ von 1989, mit Hämmern und Steinen musiziert. Bei den „Mauerspechten“ wie auch in vielen anderen Passagen spielt die räumliche Anordnung des Chores eine wichtige Rolle. Die Choristen sind in neun Gruppen rings um das Publikum verteilt. Manchmal lassen diese Gruppen gemeinsam Klänge oder Rhythmen durch den Raum wandern, an anderen Stellen wieder wird jeder einzelne Chorist zum Solisten. In dem Abschnitt „Stimmen der Vergangenheit“ etwa erhält jeder Chorist einen eigenen Text: einen Augenzeugenbericht zur Pogromnacht von 1938, den er - mit geschlossenen Augen - den in seiner unmittelbaren Nähe sitzenden Zuhörern zuflüstert.
Zu weiten Teilen besteht die Partitur des Chores aus Freiräumen, die von den Akteuren selbst gefüllt werden müssen. An die Stelle von Noten oder sonstigen Ausführungshinweisen tritt eine detailliert ausformulierte Abfolge von Improvisationsübungen, die einen kreativen Prozess anstoßen und steuern sollen. Ausgehend von einfachen theatralischen Aktionen, von assoziativen Sätzen oder einem stark begrenzten Klangmaterial werden Schritt für Schritt kleine, in sich geschlossene musikalische „Bausteine“ entwickelt und in den vorgegebenen Rahmen der Partitur eingefügt. Dieser instrumentale Rahmen ist überwiegend traditionell notiert und bewegt sich musikalisch in etwas vertrauteren Bahnen, so dass den freien Passagen des Chores ein klarer formaler Zusammenhalt gegeben wird.
Ein Hörvergleich zwischen der Bielefelder und der Grünstädter Version macht schnell deutlich, dass die verschiedenen Umsetzungen zwar als ein- und dasselbe Stück wiedererkennbar bleiben, sich aber gleichzeitig in vielen Einzelheiten grundlegen unterscheiden: In den Hörbeispielen 4 (Grünstadt) und 5 (Bielefeld) ist jeweils der Beginn des eröffnenden Prologes zu hören. Der aus dem Off gesprochene programmatische Satz „2,5 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Es mag ein 9. November gewesen sein.“ wurde von den Choristen in der Erarbeitungsphase als Anregung für eigene theatralische und musikalische Improvisationen aufgegriffen. In verschiedenen Übungsschritten versetzten sich die Spieler in „Urmenschen“ und suchten nach entsprechenden Bewegungs- und Klangformen. Als Material durften dabei ausschließlich drei Laute benutzt werden: „N“, „O“ und „V“. Diese Beschränkung diente paradoxerweise einer kreativen Erweiterung, denn je weniger Material zur Verfügung stand, umso mehr Phantasie musste der einzelne Spieler aufbringen, um sich dennoch als Urmensch erkennbar zu machen.
(Silke Egeler-Wittmann, Martin Gentejohann: Experimentelles Musiktheater: Aus der Schule - für die Schule.
9.-Nov.: Materialien und Quellentexte
Die folgende Sammlung von Materialien und Quellentexten ist als Anregung beispielsweise für eine Auseinandersetzung mit diesem Datum im Schulunterricht gedacht und kann durch eigene Schülerrecherchen aktualisiert (und um lokale Ereignisse ergänzt) werden. Die Sammlung stammt aus den Jahren 1998 und 1999 und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Aktualität. Vorschläge zur musikalischen und theateralischen Umsetzung der einzelnen Materialien finden sich demnächst hier als pdf-Download.
1551 Die belagerte Stadt Magdeburg ergibt sich ihren Belagerern auf Gnade und Ungnade.
1732 Alfons Maria di Liguori gründet einen Mönchsorden zur Volksmission und Ausübung von Exerzitien.
1763 Zu Fuß und zu Pferd zieht die türkische Gesandtschaft in einem langen Zug nach Berlin ein.
1821
Der Mechaniker Franz Anton Egells erhält in England ein Patent auf die Verbesserung der Dampfmaschinenkonstruktion. Später gründet er in Berlin eine eigene Maschinenfabrik.
1907
Die Berliner Polizei registriert einen starken Rückgang der männlichen Prostitution. Jährlich werden bis zu 1200 Männer festgenommen, die in Männer- oder Frauenkleidern auf Kundenfang sind.
Novemberwetter 1909 Nasses Wetter, kalte Temperaturen um 3,0°C.
1911
Der bayerische Innenminister Maximilian Friedrich von Brettreich erklärt vor der Abgeordnetenkammer in der Landeshauptstadt München, eine Feuerbestattung sei in Bayern nicht möglich und ihr Verbot nicht zu ändern. Die Errichtung von Krematorien sei unnötig, da sich jedermann außerhalb Bayerns verbrennen lassen könne.
1914
Der deutsche Kreuzer „Emden“ wird im Ersten Weltkrieg im Indischen Ozean von dem australischen Kreuzer „Sydney“ versenkt. Der größte Teil der 361köpfigen Mannschaft gerät in Kriegsgefangenschaft. 49 Matrosen gelingt mit einem gekaperten Boot die Flucht.
1916
Der Evangelische Bund tritt in Berlin zu einer Lutherfeier zusammen. Als Hauptredner erklärt der Generalsuperintendent der Kurmark und Hofprediger der Hohenzollern, Ernst Dryander, zwar sei der Krieg ein Hohn auf das Evangelium, dennoch könne er auch als Weg zur „sittlichen Erhöhung“ des Volkes begriffen werden.
1918
Von Johanna Spyris Kinderbüchern „Heidis Lehr- und Wanderjahre“ und „Heidi kann brauchen, was es gelernt hat“ erscheint das 450. Tausend. Die Geschichte vom kleinen Mädchen, das bei seinem Großvater in den Bergen lebt, zählt damit zu den erfolgreichsten Kinderbüchern.
1924
Texas und Wyoming wählen als erste amerikanische Bundesstaaten Frauen als Gouverneure.
Novemberwetter 1927
Außergewöhnliche Kälte: nicht über 0,6°C.
1928
Werner Veigel wird als Sohn eines deutschen Kaufmannes in den Niederlanden geboren. Der langjährige Chefsprecher der ARD-„Tagesschau“ verkörperte seriöse Information und galt vielen als das „Gesicht der Tagesschau“. Quelle: Kölnische Rundschau, 4. Mai 1995
Novemberwetter 1936
Durchschnittlich 3,7°C.
Novemberwetter 1945
Der erste Nachkriegsnovember ist kühl: Durchschnittstemperatur um den Gefrierpunkt.
Novemberwetter 1954
Recht frostig mit einer Durchschnittstemperatur von 0,7°C.
1958
Der Massenmörder Max Gufler aus St. Pölten in Österreich hat nach Mitteilung der Wiener Polizeibehörde den vierten der ihm zugeschriebenen dreizehn Morde gestanden. Quelle: FAZ, 10. Nov. 1958
1958
Der Verband der afrikanischen Medizinmänner hat auf einem Kongress in Johannesburg seine offizielle Anerkennung gefordert. Quelle: FAZ, 10. Nov. 1958
Novemberwetter 1963
Bestes Spätherbstwetter mit 7,9°C und wenig Niederschlag.
1967
In Kap Kennedy startet größten Rakete der Welt und landet achteinhalb Stunden später im pazifischen Ozean. Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Nov. 1967
1967
Auf seiner 99. Jahreshauptversammlung berichtet der Kölner Tierschutzverein, er habe im vergangenen Jahr 1144 herrenlose Hunde in seiner Obhut gehabt. Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Nov. 1967
Novemberwetter 1972
Relativ wenig Niederschläge bei einer verhältnismäßig hohen Temperatur von 5,1°C.
Novemberwetter 1981
Mit 4,9°C recht mild. Hohe Niederschlagsmenge.
Novemberwetter 1990
Das Wetter ist schlecht, die Temperatur liegt bei 5,3°C.
1997 In der Jahrhunderthalle Frankfurt-Hoechst findet das 3. „World Meditation Event“ statt. Ein Mediziner leitet rund 2000 Teilnehmer zur gemeinsamen Meditation an. Quelle: Presseinformation 3. World Meditation Event
9.-Nov.-Materialien (2): Quellen
1918 - 1923 - 1938 - 1968 - 1989
„Wenn Nationen als ganze Nervenzusammenbrüche erleiden könnten - es müßte im Falle der Deutschen an einem 9. November geschehen. Mit einer Regelmäßigkeit, die an einen Tic denken läßt, sind die Deutschen seit 1918 schon fast ein Jahrhundert lang an diesem Tag zur Stelle, wenn es darum geht, ihre Pflichten gegenüber der Geschichte, im guten wie im schlimmen, zu erfüllen. (...) Quelle: Peter Sloterdijk, „Der starke Grund, zusammen zu sein“ (Die Zeit, 2. Januar 1998)
1918 (1): Friedrich Ebert
Anfang November 1918 revoltieren in ganz Deutschland Matrosen, Soldaten und Arbeiter gegen die Monarchie und gegen eine Fortsetzung des Krieges. Der Kaiser kann sich nicht dazu durchringen, abzudanken. Schließlich legt sein Reichskanzler, der Kronprinz von Baden, sein Amt nieder und übergibt es an den sozialdemokratischen Abgeordneten Friedrich Ebert. Ebert möchte die Monarchie nicht ganz abgeschafft wissen, über die zukünftige Staatsform soll ein Übergangskabinett mit diktatorischen Vollmachten entscheiden. Er selbst stellt sich als zukünftige Staatsform für Deutschland eine parlamentarische Monarchie vor. Dementsprechend fühlt er sich von der spontanen Ausrufung der Republik durch seinen Parteikollegen Scheidemann überrollt.
Aus dem Aufruf des Reichskanzlers Ebert vom 9.11. 1918
Mitbürger!
Ich bitte euch alle um Eure Unterstützung bei der schweren Arbeit, die unserer harrt. Ihr wißt, wie schwer der Krieg die Ernährung des Volkes, die erste Voraussetzung des politischen Lebens bedroht.
Die politische Umwälzung darf die Ernährung der Bevölkerung nicht stören, es muß erste Pflicht aller in Stadt und Land bleiben, die Produktion von Nahrungsmitteln und ihre Zufuhr in die Städte nicht zu verhindern sondern zu fördern. Nahrungsmittelnot bedeutet Plünderung und Raub, mit Elend für Alle. Die Ärmsten würden am schwersten leiden, die Industriearbeiter am bittersten betroffen werden. Wer sich an Nahrungsmitteln oder sonstigen Bedarfsgegenständen oder an den für ihre Verteilung benötigten Verkehrsmitteln vergreift, versündigt sich aufs schwerste an der Gesamtheit.
Mitbürger! Ich bitte Euch alle dringend: Verlaßt die Straßen! Sorgt für Ruhe und Ordnung!
1918 (2): Philipp Scheidemann
Als der SPD-Abgeordnete Scheidemann im Reichstagsrestaurant eine wässrige Kartoffelsuppe löffelt, drängen sich Arbeiter und Soldaten an seinen Tisch. Sie sagen: „Scheidemann, kommen Sie gleich mit“ - „Philipp, du mußt zum Volk sprechen“. Zuerst wehrt er ab, aber sie schieben ihn auf die Brüstung. Improvisierend beginnt er zur Menschenmasse unten auf dem Platz zu sprechen. Die Menschen unten brechen in Jubel aus.
Aus der Proklamation Scheidemanns vom 9.11.1918
Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die deutsche Republik!
Jetzt besteht unsere Aufgabe darin, diesen glänzenden Sieg, diesen vollen Sieg des deutschen Volkes nicht beschmutzen zu lassen, und deshalb bitte ich Sie, sorgen Sie dafür, daß keine Störung der Sicherheit eintrete! Wir müssen stolz sein können, in alle Zukunft auf diesen Tag! Nichts darf existieren, was man uns später wird vorwerfen können! Ruhe, Ordnung und Sicherheit, das ist es, was wir jetzt brauchen! Sorgen Sie dafür, daß die neue deutsche Republik, die wir errichten werden, nicht durch irgend etwas gefährdet werde! Es lebe die deutsche Republik!
1918 (3): Karl Liebknecht
Am gleichen Tag, an dem Scheidemann die Republik ausgerufen hat, zieht Liebknecht an der Spitze eines Demonstrationszuges revolutionärer Arbeiter auf das Schloss zu. Die Demonstranten dringen in das Schloss ein. Die Wache haltenden Soldaten ergeben sich kampflos. Vom Verdeck eines kleinen Lastwagens aus hält er seine Ansprache an das Volk.
Aus der Proklamation Liebknechts vom 9.11.1918 Parteigenossen!
Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der Hohenzollern ist vorüber. In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland. Durch dieses Tor wird die neue sozialistische Freiheit der Arbeiter und Soldaten einziehen. Wir wollen an dieser Stelle die rote Fahne der freien Republik Deutschland hissen!
Ein unsichtbarer Zug bewegt sich heute hier vorüber. Es sind die Geister der Millionen, die für die heilige Sache des Proletariats ihr Leben gelassen haben. Mit zerspaltenem Schädel, in Blut gebadet wanken diese Opfer der Gewaltherrschaft vorüber, und ihnen folgen die Geister von Millionen von Frauen und Kindern, die für die Sache des Proletariats in Kummer und Elend verkommen sind. Und Abermillionen von Blutopfern dieses Weltkrieges ziehen ihnen nach.
Heute steht eine unübersehbare Menge begeisterter Proletarier an demselben Ort, um der neuen Freiheit zu huldigen. Parteigenossen, ich proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland, in der es keine Knechte mehr geben wird, in der jeder ehrliche Arbeiter den ehrlichen Lohn seiner Arbeit finden wird.
Die Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfled verwandelt hat, ist gebrochen. Wer von euch die freie sozialistische Republik Deutschland und die Weltrevolution erfüllt sehen will, erhebe seine Hand zum Schwur.
Hoch die Freiheit und das Glück und der Frieden!
1918 (4): Rosa Luxemburg
Am 8. November 1918, um zehn Uhr abends, erhält Rosa Luxemburg nach über zweijähriger Haft die Mitteilung der Breslauer Gefängnisdirektion, dass sie frei ist. Da sie ihre Sachen nicht vollständig gepackt hat und so spät abends nicht weiß, wohin sie gehen soll, bleibt sie während der Nacht vom 8. auf den 9. November noch im Gefängnis - um sich am nächsten Morgen unmittelbar in jenes Ereignis zu stürzen, für das sie vor ihrer Haft jahrelang gekämpft hat und das nun unmittelbar bevorzustehen scheint: eine sozialistische Revolution in Deutschland.
Aus dem Gefängniskalender der Rosa Luxemburg 3. Januar: Kuchen von Mathilde
16. Januar: Karte von Mathilde
16. März: Krähen sind fort.
18. März: Um 10 Uhr Buchfink. Haubenlerchen liefen im Hof.
4. April: Um 6 Uhr abends den Kuckuck gehört.
22. April: 23 Störche über das Gefängnis im Kreis langsam nach Norden geflogen.
27. April: Wendehals ruft. Brief von Kostia. Brief von Rechtsanwalt.
9. Mai: Wendehals und Pirol! Junge Spatzen auf dem Hof herumgehüpft.
1. August: Pirol um ½ 9 früh lange gerufen.
31. August: Bachstelze flog vom Hof aufs Dach.
17. September: Amsel hat gesungen.
17. Oktober:
28. Oktober:
8. November:
Quelle: Charlotte Beradt (Hg.), „Rosa Luxemburg im Gefängnis. Briefe und Dokumente aus den Jahren 1915-1918“,
S. 121f
Aus einem Brief Rosa Luxemburgs im November 1918 Ich selbst bin so im Trubel, daß ich keine Zeit habe, zu denken, wie es mir geht. C’est la révolution! Quelle: Frederik Hetmann, „Rosa L.“, S. 209
1923: Hitler
Mit jener Neigung zur theatralischen Szene, die ihm eigen war, hielt er ein Bierglas in der erhobenen Hand, tat einen letzten dramatischen Schluck, dann warf er das Glas klirrend zu Boden und stürmte, eine Pistole in der Hand, mitten in den Saal. Und während um ihn herum Krüge zu Boden krachten, Stühle umkippten, sprang auf einen Tisch, feuerte, um sich Gehör zu verschaffen, einen Pistolenschuß in die Decke und bahnte sich durch die fassungslose Menge den Weg zum Podium.
Aus der Proklamation Hitlers vom 9.11.1923
Die nationale Revolution ist ausgebrochen. Der Saal ist von sechshundert Schwerbewaffneten besetzt. Niemand darf den Saal verlassen. Wenn nicht sofort Ruhe ist, werde ich ein Maschinengewehr auf die Galerie stellen lassen.
Jeder hat den Platz einzunehmen, auf den er gestellt wird, tut er das nicht, so hat er keine Daseinsberechtigung. Sie müssen mit mir kämpfen, mit mir siegen oder mit mir sterben. Wenn die Sache schief geht, vier Schüsse habe ich in der Pistole, drei für meine Mitarbeiter, wenn sie mich verlassen, die letzte Kugel für mich. Wenn ich nicht morgen nachmittag Sieger bin, bin ich ein toter Mann.
Ich will jetzt erfüllen, was ich mir heute vor fünf Jahren als blinder Krüppel im Lazarett gelobte: nicht zu ruhen und zu rasten, bis die Novemberverbrecher zu Boden geworfen sind, bis auf den Trümmern des heutigen jammervollen Deutschland wieder auferstanden sein wird ein Deutschland der Macht und der Größe, der Freiheit und der Herrlichkeit. Amen!
1938: Feierlichkeiten zum 9. Nov.
Hitlers NSDAP beging den 9. November als Gedenktag für die „Märtyrer“ und „Blutzeugen“ des gescheiterten Hitler-Putsches am 9.11.1923. In München wurde dieses rituelle Spektakel mit Fackeln, Kranzniederlegung und großem Pomp begangen, aber auch in vielen anderen Städten gab es Gedenkfeiern mit kultischem Charakter. Nicht auszuschließen, dass ein verdientes Mitglied der Hitler-Jugend bei einer solchen regionalen Gedenkfeier das nachfolgende Gedicht aufsagen durfte.
„Zum 9. November“ Ehrend senken wir die Fahnen
Vor dem Opfer unsrer Toten.
Wie die größten unserer Ahnen
Wurden sie zu Glaubensboten.
Ihre Sendung ist vollendet,
Mahnend klingt es in uns auf,
Daß ihr Opfer umgewendet
Hat den deutschen Schicksalslauf.
Daß wir so wie sie da stehen,
Kämpfen müssen für das Recht,
Daß wir, soll die Fahne wehen,
Werden erst ein stark Geschlecht.
Daß wir an den Führer glauben,
An das Deutschtum, an das Blut,
Daß wir nimmer lassen rauben
Freiheit, Ehre uns und Gut.
Deutsche Männer, deutsche Frauen,
Hört die Mahnung, schwört es laut:
Alle wolln wir weiterbauen,
Nicht zurück - vorangeschaut!
Für das Heute, für das Morgen
Fasset zu nach deutscher Art!
Was ihr selber tragt an Sorgen,
Bleibt den Kindern einst erspart.
Arbeit, Opfer, Kampf und Streben,
Sind uns Richtung, sind uns Ziel.
Das ist uns das rechte Leben,
Nichts ist unsrer Kraft zuviel.
Vor uns steht des Führers Wille,
Ueber uns klingt Totenmahnen,
Mit uns ziehn der Kämpfer viele
Unter sieggewohnten Fahnen.
(abgedruckt in: Neußer Zeitung, 9.11.1938)
1939: Johann Georg Elser
Johann Georg Elser war ein stiller, einzelgängerischer Tischler, der vorübergehend dem Roten Frontkämpferbund nahestand, dort aber keine Mitstreiter zum gewaltsamen Widerstand gegen Hitler fand. Auf seiner Arbeitsstelle in einem Steinbruch besorgte er sich Zündplättchen und Sprengstoff und bastelte daraus in monatelanger Arbeit eine Bombe mit Zeitzünder. Im Alleingang brachte er die Bonbe im Münchener Bürgerbräukeller an - in jenem Saal, in dem Hitler Jahr für Jahr eine Rede zum Gedenken an den Putschversuch vom 9.November 1923 hielt. Nur durch einen Zufall verließ Hitler zehn Minuten vor der Detonation die Versammlungsstätte. Eine Kellnerin und sechs Zuhörer kamen ums Leben.
Aus den Gestapo-Vernehmungsprotokollen des Georg Elser (1939)
Während meines Aufenthaltes in München vom 5. August bis 6. November 1939 war ich insgesamt ungefähr 30-35 mal nachts im Bürgerbräukeller-Saal. An diesen Tagen begab ich mich jedesmal gegen 20-22 Uhr in den Wirtschaftsraum des Bürgerbräukellers, um dort mein Abendbrot einzunehmen. Ich aß nach der Karte und habe jedesmal ein Glas Bier getrunken. Gegen 22 Uhr habe ich dort durchwegs bezahlt. Ich verließ anschließend den Wirtschaftsdraum, begab mich von da aus durch den Gaderobenraum in den nicht verschlossenen Saal und versteckte mich dort in einem Abstellraum, der sich neben dem rückwärtigen Zugang zur Galerie befindet und der lediglich durch eine spanische Wand verdeckt war. In dem erwähnten Versteck hielt ich mich solange auf, bis der Saal abgesperrt worden war. Es war dies stets in der Zeit zwischen 22.30 Uhr und 23.30 Uhr. Ehe der Saal abgeschlossen wurde, wurden dort von Frau M. - es ist dies die mir bekannte Zigarrenfrau im Bürgerbräukeller - im Saal die dort sich aufhaltenden Katzen gefüttert. Die Galerie hat sie dabei nicht betreten. Anschließend wurde dreimal abgesperrt.
Nach dem Abschließen des Saales begab ich mich von meinem Versteck aus unmittelbar an die Säule, wo ich den Einbau meines Apparates vornahm. Ich habe mich lediglich hier und da noch kurze Zeit in dem Versteck aufgehalten, um mich tatsächlich davon zu vergewissern, daß sich niemand im Saal befand. Ich blieb ständig die ganze Nacht im Saal. Der Saal wurde in der Zeit zwischen 7 und 8 Uhr morgens wieder geöffnet. Meine Arbeiten hatte ich zwischen 2 und 3 Uhr stes beendet, anschließend hielt ich mich bis zum Verlassen des Saales wieder in dem bereits erwähnten Versteck auf, in dem sich auch ein Stuhl befand. Dort habe ich bis zum Verlassen des Versteckes gedöst.
1989: Fall der Berliner Mauer
Aus zwei Zeitungsberichten zum 9. November 1989
... Vor dem Checkpoint Charlie warteten gestern morgen Hunderte von Westberlinern. Sobald sich ein Auto oder ein Pulk von Fußgängern von Osten in Richtung Westen bewegte, klatschten die Wartenden Beifall. Mitglieder der Jungen Union verteilen blaßrote Nelken und ein Flugblatt („Die Mauer muß fallen“) an Neuankömmlinge und Rückkehrer, Beigefügt ist ein Gutschein für „ein kleines Getränk“ in einem bekannten Schnellrestaurant. (...) Der 40jährige Gerhard Kraatz ist die ganze Nacht an der Grenze entlang gefahren. „Am aufregendsten war es vor dem Brandenburger Tor“ berichtet er. „Da bin ich mit Hunderten von anderen Menschen auf die Mauer geklettert.“ Erst hatten die östlichen Grenzwächter versucht, die ungebetenen Besucher aus dem Westen mit Wasserstrahlen aus Feuerwehrschläuchen zu vertreiben, „Aber nur kurz. Dann ließen sie uns in Ruhe und wir haben auf der Mauer getanzt, gesungen und gesoffen. (...) Die ersten DDR-Bürger, die in der Invalidenstraße im Bezirk Tiergarten kurz nach Mitternacht die Grenze passieren, werden mit Pfiffen, Beifall und Sekttaufen gefeiert wie die Sieger eines Marathonrennens. Ein 23jähriger Medizinstudent weiß noch nicht so recht, wieso er plötzlich im Westen ist. „Ich komme gerade aus der Disco“ berichtet er. „Da sagte einer: Kannst rübergehen. Und da bin ich eben rübergegangen.“ Dann fragt er sich laut „Wat soll ick denn hier, ick hab nicht mal die Knete, mir ein Bier zu koofen.“ Ein alter Mann greift in die Tasche und steckt dem Studenten einen 20-Mark-Schein zu.
Quelle: Neue Westfälische, 11. November 1989: „Auf der Mauer wurde getanzt“
Berlin summt wie ein Bienenkorb. Tausende sitzen, stehen, tanzen auf der Mauer. 200.000 kamen gestern. Sie packten im Osten Klappstühle und Stullen ein. Rüber in den Westen, dort frühstücken, und dann wieder im Osten zur Arbeit. Schulklassen waren dabei mit ihren Lehrern. Die Kinder lachten: „Wir machen Geschichtsunterricht live.“ (...) Lange Schlangen bilden sich schon am Morgen in den Behörden. Hier gibt’s 100 Mark Begrüßungsgeld. Die Banken helfen aus, zahlen ebenfalls. Zweimal bricht schon vormittags auf dem Ku’damm der Verkehr zusammen - die Ost-Berliner Fahrer hatten alle Bürgersteige zugeparkt, um im Kaufhaus des Westens (KaDeWe) einzukaufen. Es gibt so viel Staunen und Ungläubigkeit in den Gesichtern. Eine alte Dame fassungslos in der Lebensmittelabteilung: „Wozu braucht man 86 verschiedene Sorten Salami?“ Eine Hausfrau aus Ost-Berlin liebäugelt mit einem Stück Schwarzwälder Schinken zu 34,80 Mark. Ihr Mann rät: „Laß liegen, Lieschen - zu teuer für uns.“ Ein junger Ost-Berliner in der Rundfunk- und Videoabteilung: „Ja, bin ick denn hier uff’m anderen Planeten?“ (...) In den Sex-Shops von Beate Uhse können die Neugierigen nur noch schubweise eingelassen werden. (...) Carsten Bethge (23), seine Frau Bärbel (24) mit Baby Veronika (4 Monate) im Wagen, schlendern über den Ku’damm. Hände schieben sich unter die Babydecke. Am Ende des Prachtboulevards findet das Ehepaar im Kinderwagen 600 Mark (West). In Tempelhof hat ein Bäcker ein Schild ins Schaufenster gehängt: „Schrippen kostenlos - gegen Ost-Ausweis.“ Quelle: Bild-Zeitung vom 11. November 1989: „Mensch, bin ick denn hier uff’m anderen Planeten?“
9.-Nov.-Materialien (3): Zufallsfunde
1972: Schädelfund in Kenia
Ist der Mensch noch älter als bisher vermutet?
Schädelfund in Kenia wird auf 2,5 Millionen Jahre geschätzt.
WASHINGTON, 9. November (AP)
Spuren einer bisher unbekannten Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Menschen glaubt der amerikanische Wissenschaftler Richard Leakey, Verwaltungsdirektor am Nationalmuseum in Kenia, gefunden zu haben. Er stieß in der Nähe des Rudolfsees in Kenia auf einen fragmentierten Schädel, der nach seiner Schätzung 2,5 Millionen Jahre alt „und fast mit Gewißheit der älteste vollständige Schädel des frühen Menschen“ ist, der bisher gefunden wurde. Die Schädelreste wie auch dabei liegende menschliche Beinknochen ähnlichen Alters sahen zum Teil aus einem steinigen Abhang in einem mit niedrigen Büschen bestandenen Wüstenstück östlich des Rudolfsees hervor.
„Vorläufige Vergleiche mit anderen Funden deuten an, daß das neue Material einen zentralen Platz beim Überdenken und bei der Auswertung der Unterlagen für den Ursprung der Spezies Homo Sapiens einnehmen wird“, schreibt Leykey in seinem Bericht.
Nach der allgemein akzeptierten Evolutionstheorie hat sich, wie Leakey sagt, der Homo sapiens im Verlaufe der letzten zwei Millionen Jahren aus dem Australopithekus, einer primitiven Kreatur mit den körperlichen Merkmalen sowohl des Affen als auch des Menschen entwickelt. Sein Fund scheint dagegen ein Hinweis darauf zu sein, daß eine „aufrecht gehende, zweifüßige Form des Menschengeschlechts mit großer Hirnmasse vor mehr als 2,5 Millionen Jahren zur gleichen Zeit mit dem Australopithekus existierte“ und sich nicht aus diesem entwickelte. Beide hominide Zweige seien in den Funden östlich des Rudolfsees vertreten. Leakey berichtet, daß aus den Hunderten von Knochenfragmenten ein fast vollständiger Schädel zusammengesetzt worden ist: „Dieser Schädel unterscheidet sich zwar von dem unserer eigenen Spezies, dem Homo sapiens, er unterscheidet sich aber auch von allen anderen bisher bekannten Formen des Frühmenschen und paßt daher in keine der derzeitigen Theorien über die Evolution des Menschen. Das Hirn dieses frühen Menschen war groß. Eine vorläufige Schätzung des Schädelvolumens kommt auf über achthundert Kubikzentimeter. Die ganze Form des Hirmschädels erinnert in bemerkenswerterm Maße an den modernen Menschen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.11.1972)
1997: Meditations-Event
Aus der Presseinformation zum 3. World Meditation Event Am 9. November 1997 findet in der Jahrhunderthalle Frankfurt-Hoechst das 3. „Word Meditation Event 1997“ statt. Der Frankfurter Mediziner Dr. med. Werner Ch. Nawrocki will dort gemeinsam mit rund 2000 Menschen einen Tag lang meditieren. Ziel ist es, „wieder zu lernen, selbst zu handeln“ und „Kraft aus der Energie der Gruppe zuschöpfen“.
Im Rahmen des Events wird der Veranstaltungsleiter Dr. med. Werner Ch. Nawrocki auch Vorträge zu den folgenden Themen halten: „Transformation - Das Geheimnis dieser Welt“, „Frieden mit sich und allem“ sowie „Vom Göttlichen in uns“.
Ausgeglichene Menschen sind „näher bei sich selbst“ und können durch ihre positive Einstellung zum Leben und zu sich ihre Alltagsprobleme besser lösen. Indem sie ihre eigenen Probleme in den Griff bekommen, könne sie als Vorbild anderen Menschen den Weg zu Ausgeglichenheit und Ruhe zeigen. Jeder Meditierende kann so seinen aktiven Beitrag zu einem positiven Umgang mit dem Leben leisten und zu einem Hoffnungsträger für den Weltfrieden werden.
Viele Menschen finden nicht mehr genug Muße und Entspannung, um die auf sie zukommenden Probleme des Alltags zu lösen und den damit verbundenen Streß zu verarbeiten. Das Gefühl von Sinnlosigkeit, Erschöpfung, Frustration und Leere macht sich breit und trägt zu einem immer gewalttätiger werdenden Klima in unserer Gesellschaft und auf der ganzen Welt bei.
Das 3. „World Meditation Event“ am 9. November 1997 in der Jahrhunderthalle in Frankfurt-Hoechst ist, wie seine Vorgänger 1993 und 1995, der Beginn einer kontinuierlichen und gewaltfreien Arbeit für den Weltfrieden. Die in der gemeinsamen Meditation entstehenden Kräfte durch positive Gedanken können die Menschen befähigen, schier Unglaubliches in sich und ihrer Umgebung zu bewirken. Die enorme positive Kraft, die durch das gemeinsame Meditieren vieler Menschen entsteht, kann starke Energiefelder aufbauen. Diese Energien haben erstaunliche, buchstäblich heilende Wirkungen auf die einzelnen Menschen sowie auf ihre Umgebung. Ziel ist es, durch regelmäßige „Events“ die Gemeinschaft der Meditierenden zu vergrößern.
Die Veranstaltung beginnt um 10 Uhr und wird gegen 20 Uhr enden. In diesen 10 Stunden wird Dr. med. Werner Ch. Nawrocki in verschiedene Formen der Meditation einführen, beginnend mit einer einfachen Entspannung. Weitergehen wird es mit Licht-Meditation, Mantra-Meditation und Organ-Meditation bis hin zur Schluß-Meditation, während der die Teilnehmer Licht und Frieden in alle Erdteile tragen werden.
9.-Nov.-Materialien (4): Anregungen
Den 9. November, im elften Jahre der grausamen Pestilenz ...
In den Nebelschwaden des 9. November 1763 ...
Wir wissen nicht genau, ob es sich am 8. oder 9. jenes schicksalsträchtigen Novembers im Jahre 1890 zutrug ...
Und endlich war er da; der Tag, den sie so lange herbeigesehnt hatte: der 9. November ...
An jenem trüben Morgen, da die Novembersonne zum neunten Mal ihren Lauf nahm ...
9.-Nov.-Materialien (5): Pogromnacht
Altenburg (Thüringen) 1938
Den verhafteten Männern ließ man keine Zeit, die Schuhe anzuziehe; und während sie barfuß durch die Straßen gingen und von den Begleitmannschaften misshandelt wurden, riefen ihnen die Schulkinder „Juda verrecke!“ zu. Im Polizeigebäude angekommen, mussten sie ihre Köpfe zu den Fenstern herausstrecken, wobei einem das Gesicht rot angestrichen wurde.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 225
Aschaffenburg 1938 Morgens gegen 5 Uhr wurde an die Synagoge Feuer gelegt und diese vollkommen verbrannt. Mit ihr verbrannten 15 Thorarollen, der alte und wertvolle Silberschmuck und das sich in einem Nebenraum befindliche, bis ins Jahr 1760 zurückgehende, historisch äußerst wertvolle Aktenmaterial der Gemeinde und des Rabbinats.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 40
Baden Baden 1938 Um zwei Uhr nachmittags rückte die Feuerwehr vor das Gemeinde-Haus, das links von der Synagoge stand, und bespritzte es mit Wasser. Die Frau und das kleine Kind des Verwalters mussten während dieser Zeit im Hause bleiben. Dann wurde die Synagoge mit Hilfe von Brandbomben innen vollkommen ausgebrannt. Einige Leute machten sich den Spaß, während dieser Zeit im Synagogen-Hof das Schofar zu blasen. Den Brand haben gelegt: Elektromonteur Petersen, Zeitungsverkäufer Xaver Warth und Lastwagenvermieter Wilhelm.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 122
Baden Baden 1938
Es ging nun zur Synagoge, die um diese Zeit noch nicht zerstört war. Alle Männer müssen sich in die Bänke setzen, den Kopf entblößt. Einige von ihnen müssen auf die Empore, von der früher die Tora verlesen wurde, und, flankiert von zwei SS-Leuten, aus dem „Stürmer“ vorlesen. Dann bei: „Auf der Stelle Marsch!“ übt man mit den jüdischen Männern das „Horst-Wessel-Lied“ ein, bis sie es gut zu singen verstehen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 123
Baden Baden 1938
Schon um ½ 8 Uhr morgens waren ca. 60 Männer, darunter einige Kurgäste, zur Polizei gebracht worden. Danach führte man sie durch die Stadt, wobei verschiedene geschlagen und von der Jugend angespuckt wurden. Den Vortrab bildeten Schüler, die „Juda verrecke!“ riefen. Am Leopoldplatz wurde Halt gemacht und die begleitenden SS-Leute riefen der versammelten Menge zu: „Hier habt ihr die Juden, macht mit ihnen, was ihr wollt!“ Aber niemand rührte auch nur eine Hand.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 123
Bad Kissingen 1938 In den jüdischen Geschäften wurden die Schaufenster eingeschlagen und die Waren auf die Straße geworfen. Besonders übel verfuhr man in dem Hotel Q., dessen Inhaber gerade in Frankfurt waren. Spiegelschränke, Schreibmaschinen, Wasserbecken und Betten wurden zerstört.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 39
Bad Wildungen 1938
Im Geschäft des X wurden die Fenster eingeschlagen und ein Teil der Waren gestohlen. Die Inhaberin erhielt mit einer Eisenstange einen Schlag auf den Kopf. Der Vorbeter und seine Frau mussten mit erhobenen Händen auf die Straße gehen, wo sie in ein Auto genötigt wurden. Bevor aber der Mann das Auto bestieg, wurde er mit Gummiknüppeln geschlagen, so dass er laut aufschrie. Als er sich bei dem nebenan stehenden Polizisten beklagte, sagte dieser: „Ach was, niemand hat Sie geschlagen!“
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 251
Bamberg 1938 Der angesehene Beirat der Deutschen Bank wurde von einer jüdischen Frau in Kenntnis gesetzt, daß die Synagoge brenne. Als er sich darauf sofort hinbegab, wurde er vor der Synagoge niedergeschlagen und ist nach 6 Wochen an einer Kopfwunde gestorben. 6 bis 8 jüdische Männer wurden in der Nacht aus dem Bett geholt und mußten in ihren Pyjamas durch die Straßen gehen, unter Mißhandlungen ausrufend: „Ich bin ein Saujud!“
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 82
Bebra 1938
Die Schulkinder stahlen das Schofar und haben in den Straßen darauf geblasen. Die Männer wurden schwer misshandelt. Die meisten suchten ihr Heil in der Flucht. So kam X. mit blutigem Gesicht zu seinem Verwandten nach Wiesbaden. In jener Nacht schleppte man Y in das Wirtshaus, wo man ihn zwang, auf einem Tische zu singen und zu tanzen. Seine Frau aber wurde vergewaltigt und hat sich aus Verzweiflung die Pulsadern aufgeschnitten.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 255
Bedburg 1938
Eine Horde hiesiger Nazis ist über die Synagoge in der Graf-Salm-Straße hergefallen, hat Kultgegenstände zuertrümmert und sich der Bundeslade bemächtigt. Mit Rufen „Hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand“ setzen sie das jüdische Heiligtum in Brand. Fensterscheiben springen klirrend unter Steinwürfen entzwei, Schimpf- und Schmährufe dröhnen durch die Straßen. In dem Zigarrengeschäft der Witwe Levy haust der Pöbel wie die Vandalen. Nichts, aber auch gar nichts wird den Leuten noch gelassen. Sohn und Schwiegersohn der alten Frau setzen sich zur Wehr und werden unter Schlägen verjagt. Der jüdische Bürger Albert Franken und seine alte Mutter sind herzkrank. Polizei bringt sie ins Krankenhaus. Ein SA-Mann nutzt die Gelegenheit, um im Hause Franken die Küche, den Konzertflügel und andere Kunstgegenstände zu zerstören.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 86f
Bergheim 1938
Wäsche und Kleinmöbel wurde auf die Straße geworfen. Es kam zu Diebstählen und Plündereien.. Die Leibwäsche der der Familie Levy wurde an einer Leine aufgereiht über die Straße gespannt. Isidor Falk, der aus Brüssel nach Hause kam, mußte tatenlos zusehen, wie seine Wohnung zerstört wurde und ihm bekannte Menschen sein Eigentum demolierten. In Niederaussem wurde Jakob Heidt zusammengeschlagen und mit seinen Möbeln auf die Straße geworfen.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 87f
Berlin 1938
Sieben große Synagogen der Hauptstadt stehen in Flammen, darunter die der Fasanenstraße, in die Oberkantor Davidsohn eilt, um daraus zu retten, was noch zu retten ist. Doch plötzlich hört er Schläge und sieht den Synagogenpförtner Wolfsohn blutüberströmt im Hemd in den Hof laufen. Da er sich weigert, die Schlüssel auszuhändigen, wird er bis aufs Blut geprügelt. Dann werden die Tore des Gebetshauses eingeschlagen, die Orgel mit 78 klingenden Registern über die Brüstung geworfen, die vor dem Altar stehenden Bronzeleuchter abmontiert, alle anderen Bronzegegenstände in Stücke geschlagen. SA- und SS-Männer kommen mit Kanistern an und übergießen alles, was aus Holz ist, mit Benzin, so dass nun auch das Innere der Synagoge lichterloh brennt.
Quelle: Rita Thalmann / Emmanuel Feinermann, „Die Kristallnacht“, S. 91
Butzheim (Neuss) 1938 Die alte Mutter Herz wurde in den Keller gesperrt und man zerschlug dann die Wasserleitungsrohre, so daß die alte Frau fast ertrunken wäre. Ihre Tochter Selma bat darum meinen Mann und meinen Schwiegervater, beide waren bei der Freiwilligen Feuerwehr, der Mutter zu helfen, was auch gelang. Bei dieser Hilfsaktion wurden die beiden Männer beobachtet und angezeigt. Mein Schwiegervater wurde daraufhin trotz seines hohen Alters von den Nazis drangsaliert.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 94
Coburg 1938
Alle Männer, Frauen und Kinder und aus dem Pensionat etwa 50 Schüler wurden zusammengeholt, auf einen Platz gebracht, wo sie sich aufstellen und abzählen mußten. Die SA-Leute sagten dabei zueinander, aber so laut, daß es die Juden hören mußten: „Jeder Zehnte wird erscjhossen.“ Dann wurden alle nach Hause geschickt mit Ausnahme der unter 60 Jahre alten Männer, die nach Dachau transportiert werden sollten.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 103
Düsseldorf 1938 Wir hatten uns für den Abend bei unseren Freunden Emanuel Neumann angesagt. Wir verbrachten bei ihnen einen ernsten, aber schönen Abend. Wir kamen gegen 12 Uhr zurück. Kaum war ich da, als das Telefon läutete: Eine Stimme, die vor Entsetzen bebte, schrie: „Herr Doktor, sie zertrümmern das Gemeindehaus und schlagen alles kurz und klein, sie schlagen die Menschen, wir hören ihr Schreien bis hierher.“. Es war Frau Blumenthal, die im Nachbarhause wohnte. Der Platz vor dem Hause war schwaz von SA-Leuten. Sie drangen in die Wohnung unter dem Chorus: „Rache für Paris! Nieder mit den Juden!“ Sie zogen aus Beuteln Holzhämmer heraus und im nächsten Augenblick krachten die zerschlagenen Möbel und klirrten die Scheiben der Schränke und der Fenster.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 94
Düsseldorf 1938 Auf mich drangen die Kerle mit geballten Fäusten ein, einer packte mich und schrie mich an, ich solle herunterkommen. Ich war überzeugt, daß ich totgeschlagen werde, ging ins Schlafzimmer, legte Uhr, Portemonnaie und Schlüssel ab und nahm Abschied von Berta. Sie sagte nur „Chasak!“. Unten war die Straße voll von SA-Leuten. Ich wurde mit dem Rufe empfangen: „Jetzt predige mal.“ Um die Ecke, in der Stromstraße, sah ich die Straße bedeckt mit Büchern, die aus meinem Fenster geworfen worden waren, mit Papieren, Akten, Briefen. zertrümmert lag auf der Straße meine Schreibmaschine. Ich selber wurde von einem SA-Mann gepackt und in einem großen Bogen über die Straße an das Haus geschleudert. Ein Nachbar, der Augenzeuge war, sagte mir nachher, das sei mehrmals geschehen. Einer sagte mir: „Jetzt könnt Ihr Laubhüttenfest feiern.“
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 94f
Düsseldorf 1938 Ein großer Teil unserer Möbel war vernichtet, ein großer Teil meiner Bibliothek durch das Fenster hinaus auf die Straße geworfen sorden. Unsere Bilder waren zerschnitten oder zerrissen, viele Scheiben zertrümmert, viele Möbel hoffnungslos beschädigt.
Ein Hausbewohner, der über uns wohnte, war den ganzen Tag über auf der Treppe gestanden und hatte angekündigt, daß eine Bande vor vier Uhr kommen werde. Er war dann sehr nervös geworden, als sie so lange nicht kamen. Kurz vor vier Uhr erschienen sie wirklich. Aber Berta zeigte ihnen die Wohnung und sagte ihnen mit großer Energie: „Hier gibt es nichts mehr zu zerstören“, worauf sie abzogen. Es ist schrecklich, einen solchen Nachbarn zu haben.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 95
Düsseldorf 1938
Meine Bücher und Akten, auch die kostbare Privatkorresondenz aus annähernd vierzig Jahren, alles war durch die Doppelfenster auf die Straße hinausgeworfen worden und bildete dort einen hohen Haufen.. Am Donnerstag hatten Leute Papiere und Bücher mitgenommen, aber im Laufe des Vormittags kamen andere und zündeten das Ganze an. Es brannte viele Stunden lange. Ich bin froh darum. Besser verbrannt, als in fremden Händen.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 95
Düsseldorf 1938
Es hatte viele Tote gegeben. Paul Marcus, der Inhaber des Café Karema, flüchtete, als sein Restaurant vollkommen zerstört war. Er ist in der Nacht erschossen worden und wurde am frühen Morgen vor der Wohnung von Dr. Max Löwenberg, am Martin-Lutherplatz, tot aufgefunden. In Hilden sind Frau Isidor Willner und ihr Sohn Ernst erstochen worden. Ferner sind dort Carl Herz und Nathan Mayer entweder erstochen oder erschossen worden. Dr. Sommer in Hilden, ein Mann, der in Mischehe lebte und sich nie um Jüdisches gekümmert hatte, ging, als sein Haus geplündert und er selber mißhandelt worden war, mit seiner Frau und ihrem alten, ebenfalls arischen Dienstmädchen in den Garten. Dort haben sich alle drei vergiftet.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 95
Düsseldorf 1938 Der frühere Stadtchemiker Dr. Schreiber gab mir einen schauerlichen Bericht von den Mißhandlungen, nach denen er wie tot liegen blieb. Dr. Lehmann hatte einen Schlag auf den Schädel bekommen, der ihm eine schwere Gehirnerschütterung brachte. Kollege Klein und Frau waren braun und blau von den Schlägen, die sie erhalten hatten. Rudolf Weil, der vor wenigen Jahren von Bocholt hierher gezogen war, war so auf den Schädel geschlagen worden, daß er für tot liegen blieb. Er ist wenige Wochen nachher gestorben, wahrscheinlich infolge der Verletzung und des Schreckens. Die Banden drangen ein und mißhandelten den etwa 65 Jahre alten Gustav Oppenheimer und schlugen seine Frau so, daß sie für tot an der Haustüre liegen blieb. Sie ist wenige Tage darauf in eine Nervenheilanstalt bei Berlin gebracht worden.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 96
Düsseldorf 1938
Dann drangen die SA Leute unter dem Ruf „Wo ist die Hure von dem Alten?“ in das Schlafzimmer von Frau Cohn ein und zerrten sie im Nachthemd heraus. Sie wurde so geschlagen, daß sie noch wochenlang nachher am ganzen Körper braun und blau war und als dauernde Folge ein Lungenleiden, ich glaube, eine chronische Bronchitis, davontrug. Ihr Hemd wurde ihr dabei hinten aufgerissen. Während das geschah, kam ein weiterer SS Mann dazu und zerrte sie mit wütendem Gesicht die Treppe hinunter. Dabei flüsterte er ihr zu: „Kommen Sie mit mir, ich kann das nicht mehr mit ansehen.“ So zog er sie herunter und gab ihr an der Haustür einen Stoß, daß sie über ihre hier liegende Schwiegermutter auf die Straße hinausflog. Von dort wurde sie in das Polizeipräsidium geführt, barfuß und mit nichts bekleidet als mit einem durchgerissenen, vorn blutigen Nachthemd.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 96
Düsseldorf 1938
Dr. Max Löwenberg, der eine ungewöhnliche Röntgeneinrichtung besaß, sagte mir, sie sei vollkommen zertrümmert, aber mit einer solchen Sachkenntnis, daß nur ein Arzt, der mit einem solchen Apparat umgehen konnte, die Anweisung dazu gegeben haben konnte.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 96
Düsseldorf 1938
Ich lag nach meinem Herzkollaps schwer leidend im Parterre straßenwärts im Bett und wurde gegen 12 Uhr durch ein starkes Stoßen und Poltern gegen die Haustür des uns genau gegenüberliegenden Hauses in der Feldstraße 34 und ein nachfolgendes Weh- und Schmerzensgeschrei geweckt. Ich war mir sofort klar, daß ein antisemitischer Exzeß gegen den hochanständigen Hausinhaber Loeb, einen Kombattanten aus dem Weltkrieg, stattfand.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 97
Düsseldorf 1938
Wir hörten, wie alle Scheiben zerschlagen und die Hausbewohner, nach ihrem Schreien zu urteilen, in der gröbsten Weise mißhandelt wurden. Nach einer halben Stunde zogen die Horden ab, und es fuhr ein städtisches Krankenauto vor, in dem ein in Tücher eingewickelter Mann, wie sich später ergab, Herr Loeb selbst, ins Krankenhaus abtransportiert wurde. Er hatte, wie Frau Stiltz einige Tage später von seinem Angestellten hörte, 9 Dolchstiche erhalten und befindet sich heute noch als Patient im Marienhospital.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 97
Düsseldorf 1938 Am rohesten gingen die organisierten Barbaren in der Wohnung meines Vetters Robert vor, indem sie alles kurz und klein schlugen, sämtliche Schränke umwarfen, das gesamte Porzellan und die antiken Sèvres-Porzellan-Spiegel, Nippes zuertümmerten, ferner die schönen alten Familienportraits und andere wertvolle Bilder durchschnitten, die Wäsche und Küchenvorräte durcheinanderwarfen. Robert und Lilly waren und sind heute noch ganz verstört und fassungslos, da ihnen alles zertrümmert ist, und nur 3 Küchentassen ihnen geblieben.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 97
Düsseldorf 1938 Genau so tierisch handelten die Barbaren bei unserem Freund Dr. med. Max Loewenberg, dem sie in ihrer sinnlosen Zerstörungswut die überaus wertvollen medizinischen Instrumente zertrümmerten, die schönen Ölgemälde zerschnitten; ebenso hausten die Bande bei dessen Nachbarin, Frau Levyson, bei der man am hellen Tage die Möbel durch die Fenster auf den belebten Königsplatz warf.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 97
Düsseldorf 1938
Der Trupp formierte sich und begann mit der Zerstörung bei den Geschwistern Hirsch. Geschäftsinventar und Möbel flogen auf die Straße, Bettzeug und Polstermöbel wurden aufgeschlitzt, die Scheiben zertrümmert. Einer der Brüder Hirsch muß auch verletzt gewesen sein, da eine der Schwestern laut nach einem Arzt rief: „Einen Arzt, einen Arzt, mein Bruder verblutet ja!“ Darauf einer aus dem Trupp: „Dann loß en frecke!“
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 98
Felsberg 1938
Die SA zwang dann die Familie Y. zum sofortigen Verlassen ihres Hauses. Umsonst wies Frau Y darauf hin, dass ihr Mann ein schweres Herzleiden habe. Die Frau, ihr Sohn und ihre Schwägerin haben dann den krankenMann hinausgeführt. Auf der Straße angekommen, brach er zusammen. Die Frau legte ihn auf eine Decke und wollte den Arzt holen. „Sei ruhig, sonst legen wir Dich neben den da hin!“ schrie ein junger Bursche. In diesem Aufruhr ist der Kranke verschieden.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 247
Fürth 1938
Alle Männer, Frauen und Kinder, die kleinsten im Kinderwagen, manche Erwachsene in ihren Nachtkleidern, sogar einige Kranke aus dem Spital und Krüppel, die kaum laufen konnten, wurden auf einen freien Platz zusammengeholt, wo sie vom Mob angepöbelt wurden. Der Rabbiner mußte dort auf eine auf dem Boden liegende Thorarolle treten.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 95
Fürth 1938 Alle Juden, auch Kinder im jüngsten Alter, Kranke und schwangere Frauen werden gegen 2 Uhr morgens aus den Wohnungen geholt. Manche werden zuerst ins Theater geführt: die einen in den dunklen Saal, die anderen auf die grell beleuchtete Bühne, wo sie geprügelt werden. Alle werden anschließend, kaum gekleidet, auf dem Marktplatz versammelt, wo sie drei Stunden lang stehen bleiben müssen.
Quelle: Rita Thalmann / Emmanuel Feinermann, „Die Kristallnacht“, S. 98
Gemünden-Grüsen 1938
X wurde furchtbar misshandelt und seine Frau aufgefordert, fünf Eimer kalten Wassers über ihn zu gießen. Als sie sich weigerte und die SA-Leute Feiglinge hieß, weil sie nicht den Mut hatten, sie lieber zu erschießen, als solcher Behandlung auszusetzen, wurden 10 Eimer kalten Wassers über sie ausgeleert. Auch A. wurde übel mitgespielt. Er wurde in einen Sack gesteckt, die Treppen seines Hauses hinabgerollt und dann so geschlagen, dass er in die Klinik nach Marburg eingeliefert werden musste.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 262
Gerolzhofen 1938
Alle Männer bis 70 Jahren wurden, ebenso wie 6 Frauen, bewacht von 15-20 SA, beschimpft und angespuckt von der Schuljugend, ins dortige Gefängnis gebracht. Während die Männer im Gefängnis waren, wurde die Synagoge durch die SA vollkommen ausgeleert. Dabei mußte sich die Frau des Vorbeters unter die Synagogentüre stellen, das Tallis, den Talar und ein Thoramäntelchen umhängen und so die übelsten Beschimpfungen wie „Schlitzt ihr den Bauch auf!“ über sich ergehen lassen. Alle Ritualien, einschließlich der Thorarollen, wurden auf den Sportplatz geschafft und dort, unter Anwesenheit der Bevölkerung, verbrannt.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 27
Grossen-Buseck 1938
Während die Juden im Rathaus eingesperrt waren, wurden die Fenster und Türen der jüdischen Häuser zertrümmert und die Einrichtung darin zerschlagen. Eine nationalsozialistische Schwester beaufsichtigte die Zerstörung und als sie im Hause des Y. alte kupferne, für rituelle Zwecke benützte Waschbecken sah, veranlasste sie, dass auch noch diese zerstört wurden. Der 80jährigen Frau V. ließ man nocht einmal Zeit, ihr Schuhe anzuziehen, so dass sie in Pantoffeln weggehen musste. Zuerst wandte sie sich nach Geissen und von dort sogleich nach Frankfurt. Dort irrte sie während der Nacht in den Straßen umher.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 175
Heidingfeld 1938
Die im danebenstehenden Gemeinde- und Schulhaus wohnende Beamtenfrau wurde um 1/2 3 Uhr früh gezwungen, die Türe zur Synagoge aufzuschließen und so die Zerstörer einzulassen. Man soll sie auch gezwungen haben, mittels einer Fackel das Feuer selbst anzulegen. Ohne Rücksicht auf ihren durch einen Schlaganfall des Augenlichts und der Sprache beraubten Mann wurde bei ihr und den meisten anderne Familien alles im Hause zusammengeschlagen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 72
Lichtenfels-Seubelsdorf 1938
Die Frau des Lehrers muß sich wohl, von den Geschehnissen schockiert oder von den in die Wohnung fliegenden Steinen im höchsten Grade verängstigt, in den in der Nähe befindlichen Weiher geworfen haben. Sie wurde dort als Tote herausgezogen. In der selben Nacht wurden die Männer verhaftet. Dabei wurde W. zur Treppe herabgeworfen. E. hat bei der Verhaftung Quecksilber genommen und ist 10 Tage später qualvoll gestorben und R. hat sich zum Fenster herabgestürzt, ohne sich aber ernstliche Verletzungen zuzuziehen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 85
Kitzingen 1938 Die Möbel in den Wohnungen des Vorbeters und des Lehrers wurden zerschlagen und die Trümmer durch die Fenster auf die Straße geworfen, von wo sie die jüngeren unter den am Morgen verhafteten Männern später wieder aufzulesen hatten. Auch bei anderen Familien wurde die Einrichtung zusammengeschlagen, die Fenster zerbrochen und die Vorhänge angezündet. Die Synagoge wurde durch den Arzt Dr. Gassner, Reichstagsabgeordneten Heer, Ortsgruppenleiter Schramm und den Sohn des Kommerzienrates Klein mit Fackeln in Brand gesteckt.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 49
Köln 1938 Glas, Holz, Möbel, Gardinen, Bettzeug, Hausrat, Kleidung, alles lag wirr durcheinander, zum Teil zerschlagen und zerfetzt, zum Teil angesengt, im Vorhof und auf dem Bürgersteig. Aus leeren Fensterhöhlen zogen dünne Rauchschwaden - es roch nach kaltem Brand. Auf einem mit angebrannten Ziegeln bedeckten Dach eines kleinen Anbaues neben dem rechten Eingagnstor klebte eine große Blutlache. Hier hatte man einen Menschen kopfüber aus dem darüberliegenden Fenster auf die Straße geworfen.
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 100
Köln 1938 In unserer eigenen Wohnung öffneten sie einige Schränke, zerbrachen alles Porzellan und Glas, das sie fanden, sowie die Zierstücke in unserem Wohnzimmer. Sie kamen mit uns ins Wohnzimmer, der Führer der Gruppe nahm eine Pistole aus dem Gürtel, richtete sie auf meinen Mann und kommandierte: „Raus aus dem Zimmer“. Sofort trat ich zwischen ihn und meinen Mann, so daß die Pistole auf mich gerichtet war, und sagte: „Sie können mit dem Mann da nicht allein sprechen, er ist schwerhörig; aber ich werde ihm weitergeben, was Sie zu sagen haben.“
Quelle: Josef Wißkirchen, „Reichspogromnacht an Rhein und Erft“, S. 101f
Köln 1938
Im alten Seminar (Bibrastraße 6), wo ein Teil der Seminaristen schlief, hat die SA morgens gegen 4 Uhr in den Schlafräumen große Verwüstungen angerichtet. Die Schüler flüchteten zum Teil auf den Boden. Im Laufe des Tages erbrach eine Rotte das große Tor, drang in die Parterre-Wohnung des dort die Aufsicht führenden Lehrers ein, zerschnitt die Betten und goß Chemikalien darüber. Die im Hofe stehenden zitternden Schüler wurden gröblich beschimpft. Eine Frau rief weinend: „Lasst doch diese Kinder in Ruhe!“, worauf sie von anderen mit Schlägen bedroht wurde. Die von einem Schüler angerufene Polizei räumte das Gebäude und brachte die Schüler unter dme Gejohle des Pöbels zum Gefängnis. Dort wurden sie untersucht, photographiert und dabei von dem Gestapo-Kommissar Voelkl mit Beschimpfungen wie „Saujuden, Judenrassen“ u.a. überhäuft.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 67
Köln 1938 Alle jüdischen Frauen werden beordert, die Synagoge auszuräumen. Sie müssen die ca. 30 zerfetzten Thorarollen mit allen anderen vernichteten Dingen auf Wagen verladen und dabei die in der Synagoge abgestellten Zylinderhüte der Beter aufsetzen. Am Sabbath müssen sie die Arbeit fortsetzen, werden dabei photographiert und mit gemeinen Bemerkungen traktiert. Am selben Tage wird Frau Y von der SA auf dem Markte herumgezogen und Frau X muß dort auf den Knieen herumrutschen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 88f
Koenig 1938
Alle Männer wurden in der Nacht des Donnerstag im Keller des Rathauses gefangengehalten. Die jüngeren wurden dann herausgeholt und geschlagen. Nachts um ½ 2 Uhr führte man die Männer vor das Dorf, wo auf einem Hügel ein Lehrer der örtlichen Schule Aufstellung genommen hatte. Immer wenn ein Jude passierte, schoss er gegen ihn eine Platzpatrone ab.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 167
Koenigshofen 1938 Am 9.11.1938 mussten die jüdischen Männer unter Zwang die gesamte Einrichtung herausreißen und die Bänke und andere hölzerne Teile der von dem Pfarrer „eine Zierde“ genannten Synagoge zu Brennholz zersägen. Darunter war auch der kunstreich geschnitzte, vielfarbig bemalte, im Vorraum der Synagoge aufbewahrte Heilige Schrein.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 112
Leipzig 1938 In jüdischen Wohnungen wurde eingebrochen und deren Inhalt vernichtet oder geplündert. In einem der jüdischen Viertel wurde ein achtzehnjähriger Junge aus einem Fenster im zweiten Stock geschleudert, um auf der Straße, die mit brennenden Betten und anderen Haushaltungsgegenständen aus der Wohnung seiner Familie und der anderen bedeckt war, mit zwei gebrochenen Beinen zu landen. Von einem anderen Viertel wird berichtet, dass unter häuslicher Habe, die aus einer jüdischen Wohnung hinausgeworfen wurde, ein kleiner Hund vier Treppen tief mit gebrochenem Rückgrat auf die mit Trümmern übersäte Straße fiel.
Quelle: Rita Thalmann / Emmanuel Feinermann, „Die Kristallnacht“, S. 95
Lichtenfels 1938
Eine jüdische Frau, die Kultgegenstände aus der brennenden Synagoge retten wollte, wird von Kindern getötet, die anschließend mit den Gebetbüchern Fußball spielen.
Quelle: Rita Thalmann / Emmanuel Feinermann, „Die Kristallnacht“, S. 98
Magdeburg 1938 Ein Lehrer der Gemeinde wurde mit seiner nur notdürftig bekleideten Frau und seinen zwei Kindern aus seiner im Gemeindehaus befindlichen Dienstwohnung geholt und musste ansehen, wie die Kultgegenstände im Feuer aufgingen. Der hinzukommenden Synagogen-Diener wurde gezwungen, einen Zylinder aufzusetzen und so um die Flammen herumzutanzen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 227
Mellrichstadt 1938
In der Nacht drangen Leute von Mellrichstadt in die Synagoge, zerschlugen deren Einrichtung, zerrissen die Thorarolle, warfen sie und die Gebetbücher auf die Straße und verbrannten sie dort. Einer dieser Eindringlinge zog den Talar des Vorbeters an, setzte das Barett auf und ging in diesem Aufzug in ein Wirtshaus.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 34
Mergentheim 1938 Am nächsten Tag sollte die Synagoge verbrannt werden. Der nebenstehende Landwirt und ein anderer Nachbar protestierten dagegen. Daher wurden nur die Innenräume und die Einrichtung zerschlagen und das Gebäude versiegelt.
Das Geschäft des Q wurde nicht berührt, musste aber in arische Hände abgegeben werden. Dagegen wurde dem Besitzer übel mitgespielt. Q wurde in die Badewanne seiner Wohnung gesteckt und Anstalten gemacht, ihn zu kastrieren. Q wehrte sich heftig und erlitt einen Nervenschock. Die Eindringlinge ließen dann in die Wanne Wasser laufen. Die hinzukommenden Eltern haben ihn vor dem Ertrinken gerettet.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 139f
Mergentheim 1938 Der Rabbiner wurde in der Nacht aus dem Schlafzimmer geholt, während man seine Frau, indem man von außen abschloß, darin gefangensetzte. Der Rabbiner wurde dann die Treppe hinabgeworfen und am Fuße derselben von einem anderen Trupp mit Stecken schwerstens misshandelt. Dann wurde er durch ein Fenster, wohl in den Hof, und von dort wieder zurückgeworfen. Am Ende der Treppe blieb er hilflos liegen. Seine Frau, der es gelungen war, sich frei zu machen, brachte den durch die Schläge völlig entstellten Mann ins Bett.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 140
Michelstadt 1938 Am 9.11.1938 kam eine christliche Frau in höchster Erregung zu Y. und sagte: „Rettet, die Synagoge soll verbrannt werden!“ Durch diese Warnung war es möglich, die Thorarollen, deren Silbergehänge und die meisten anderen Ritualien in Privathäuser zu bringen. In Rücksicht auf die in der Nähe befindlichen Scheunen wurde die Synagoge nicht angezündet, dafür aber völlig demoliert.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 169
Michelstadt 1938
Die jüdischen Männer, die meisten von ihnen als Frontkämpfer Inhaber des Ehrenkreuzes, wurden aneinander gefesselt durch die Stadt geführt und dabei schwer misshandelt. Auch Ortsansässige haben sich, obwohl sie als judenfreundlich bekannt waren, an den Misshandlungen beteiligt. Es wurde später aber ermittelt, dass sie von der auswärtigen SA ultimativ dazu gezwungen worden waren.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 169
Mosbach 1938 Morgens um ½ 5 Uhr kamen einige Gestapo-Leute und ein Schutzmann vom Platze zum Vorstand der Gemeinde, holten den Aufseher X und ließen sich zu der Synagoge führen. Die Synagoge wurde vollkommen ausgeräumt und die Ritualien, einschließlich der Thorarollen, kamen auf den Marktplatz. Dort wurden sie zu einem Haufen aufgetürmt, eine Thorarolle, bekleidet mit Talar und Barett des Rabbiners, formte die Spitze. Unter Anwesenheit der Hitler-Jugend und aller Schüler wurden die Ritualien verbrannt.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 117f
Nürnberg 1938 In der Nacht zu 10.11. wurden viele Männer in der fürchterlichsten Weise mißhandelt. X bekam einen Stich mit einem Dolch. Als er seine Hände zum Schutze auf den Kopf legte, wurden ihm zwei Finger gebrochen. Seine Frau bekam mit einem Knüppel Schläge auf den Kopf und wurde die Treppe hinuntergeworfen. Späth in der Hochstraße wurde so zugerichtet, daß er in der Nacht gestorben ist. Lebrecht wurde in seinem Haus in der Pirkheimerstraße so malträtiert, daß er seinen Geist aufgab. Bamberger, in der Lindenastraße erlag einem Schlaganfall, als die SA in seiner Wohnung alles kurz und klein schlug. Das jüdische Krankenhaus in Fürth war durch die in der Nacht verwundeten und dorthin eingelieferten Juden überfüllt.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 99ff
Offenbach 1938
Während die Gemeinde-Mitglieder in der neben der Synagoge befindlichen Wochentags-Synagoge zum Morgengottesdienst versammelt waren, zündeten SA-Leute mit Hilfe von Petroleum das Gestühl des Gotteshauses an und halfen später, da das Eichenholz nur langsam Feuer fing, mit Teer und anderem leicht entzündlichem Material nach. Etwa 10 SA-Leute misshandelten die im Gebete befindlichen Männer, von denen Y. ohnmächtig zusammensank.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 192
Offenburg 1938 Die verhafteten Männer mußten geschlossen zum Bahnhof marschieren, wobei die an der Spitze gehenden Vorstände Tallis und Toramäntel umhängen und Zylinder aufsetzen mussten. Sie wurden angehalten, das Lied „Muss i denn zum Städtle hinaus“, aber mir dem veränderten Text: „Wann i komm, wan i nimmer wieder komm“, zu singen. Alle kamen nach Dachau. Dort starb der 72jährige Adler auf dem Appellplatz, nachdem er vorher von einem Kapo mit der Kehle an den Wasserhahn geworfen worden war, weil er sich beim Waschen nicht das Hemd ausgezogen hatte.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 124f
Pfungstadt 1938
Auch das Gemeindehaus wurde in seinen Innenräumen demoliert und in der darin befindlichen Wohnung des Vorbeters alles kurz und klein geschlagen. Er wurde zu einem völlig besitzlosen Mann gemacht. Nach der Vernichtungsaktion in seiner Wohnung schleppte man ihn auf die Straße und hat ihn dort fürchterlich geschlagen und getreten. „Wir wollen es mit dir machen, wie du das Vieh geschächtet hast!“, rief man ihm zu. Die Misshandlungen machten ihn bettlägerig. Anfang 1939 ist er gestorben.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 168
Potsdam 1938 Der erste Sturm richtet sich auf das jüdische Kinderheim des Vororts Caputh. Die dort untergebrachten Kinder werden aus dem Schlaf gerissen und unter Beschimpfungen und Misshandlungen hinausgejagt. Um 5.30 morgens begeben sich fünf Männer in Zivil in die Wohnung von Rabbiner Dr. Schreiber. Ihr Anführer fordert ihn auf, ihm die Schlüssel der Synagoge auszuhändigen. Die Bande dringt in die Synagoge ein und verwandelt innerhalb von fünf Minuten das Gotteshaus in einen Trümmerhaufen. Die Fenster werden mit hölzernen Übungsgranaten eingeschlagen, die Frauenempore demoliert, die Sitze des Rabbiners und des Vorstehers zerhackt, die Vorhänge des Thoraschreins zerfetzt, die Thorarollen in Stücke gerissen, der große Chanukahleuchter als Brechstange benutzt.
Quelle: Rita Thalmann / Emmanuel Feinermann, „Die Kristallnacht“, S. 92f
Storndorf 1938 Da die meisten jüdischen Familien nach Frankfurt flüchteten, wurde dieser Umstand benutzt, aus den verlassenen Häusern herauszuholen, was am begehrenswertesten erschien. Der SA-Mann U. sagte zwar, dass die Wegnahme des jüdischen Eigentums untersagt sei, aber er wurde von der Menge niedergeschrieen. Etwas später drangen Leute mit geschwärzten Gesichtern bei Nacht in ein jüdisches Haus ein, schlugen eine Tochter des Hauses mit Gummiknüppeln und zogen sie an den Beinen zum Haus hinaus. Dabei soll- so wird gesagt - das Mädchen unzüchtig berührt worden sein.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 173
Trebnitz bei Breslau 1938 In den jüdischen Häusern wurde schändlich gehaust. Alle Möbel wurden zerschlagen, Eingemachtes ausgeschüttet und Kleider hineingetaucht, wertvolle Gemälde wurden zerschnitten. Die jüdischen Männer, an Kuhketten gebunden, mußten, eine Musikkapelle an der Spitze, durch die Stadt ziehen. An jeder Ecke machte der Zug halt. SA, Frauen und Kinder schlugen auf die Männer ein und die jüdischen Frauen und Kinder mussten zusehen. Einer von den Männern musste auf allen Vieren durch eine ganze Straße kriechen und erhielt dabei solche Schläge, dass er von seinem Schwager in einer Entfernung von 4 Schritten nicht wiedererkannt wurde.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 213
Würzburg 1938
In der Nacht zum 10. November läuteten zwei Gestapo-Leute an der Gangtüre des Gemeinde-Sekretärs und schlugen, als ihnen nicht sofort aufgemacht wurde, die Türe ein. Sie schoben dessen Ehefrau mit den Worten „Weg da, Judenweib!“ auf die Seite und forderten den Sekretär auf, mitzukommen. Als dieser seinen Kragen umlegen wollte, sagten sie: „Wo du hinkommst, brauchst du keinen Kragen und keine Krawatte mehr!“.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 65
Würzburg 1938 Es wurde auch erzählt, daß bei der Schändung der Synagoge und der jüdischen Häuser der Rektor der Hochschule und Universitätsprofessoren mitgewirkt hätten. Bei festlicher Beleuchtung - alle Lichter wahren angedreht - wurde das Innere der Synagoge zerschlagen. Ritualien wurden in den Hof geworfen und dort zum Teil verbrannt. Alle jüdischen Geschäfte wurden zerstört.
Bei dem Seminarlehrer V. zogen die Eindringlinge die Bettdecke - auch die der Frau - heraus und schrien: „Macht, daß ihr herauskommt, ihr Schweine!“ Bei G. und O. mußten die 12-13jährigen Söhne - gezwungen von der SA - die Spiegel und Gläser zusammenschlagen.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 65f
Würzburg 1938 Den besser situierten Juden wurde der ganze Haushalt zerstört, während den ärmeren die Fenster eingeschlagen wurden. Die SA hat dieses Zerstörungswerk auch in einem Hause vollbracht, in welchem an jenem Tage eine Tote in ihrem Sarge lag, und sogar den Deckel vom Sarge geworfen. Die Leiche konnte später nur unter allergrößter Mühe bestattet werden, weil alle Männer, mit Ausnahme der ganz alten, nach Lohr ins Gefängnis gebracht worden waren.
Quelle: Herbert Schultheis, „Die Reichskristallnacht in Deutschland nach Augenzeugenberichten“, S. 69