„Experimentelle Gebrauchsmusik“ – das bedeutet für mich, aktiv nach außermusikalischen Anlässen und Funktionen für meine Musik zu suchen. Gezielt zu fragen: Wo in dieser Gesellschaft wird eine Musik gebraucht, die es noch nicht gibt? Und wo vermag eine stilistisch ungebundende, experimentelle Herangehensweise vielleicht mehr zu bewegen, als ein Verharren in musikalischen Traditionen?
Komponieren als Anstiften
Komponieren heißt dabei häufig auch: Anstiften. In vielen meiner Projekte wird Musik zum Medium einer Begegnung: Zwischen Alten und Jungen. „Behinderten“ und „Nichtbehinderten“. Schülerinnen und Politikern. Gläubigen und religiösen Skeptikerinnen. Zwischen verschiedenen, einander fremden Welten und Geisteshaltungen. Und, last not least: Zwischen Mitwirkenden, die von Berufs wegen mit neuen Tönen vertraut sind und solchen, für die experimentelle Musik wirkliches Neuland ist.
Um dies zu erreichen, knüpfe ich an die stilistischen Errungenschaften und die experimentellen Freiheiten der „Neuen Musik“ an – nicht aber an jenen Autonomieanspruch, der viele Jahrzehnte lang den Kern ihrer Ästhetik bildete.
Mehr als nur Stillsitzen
„Neue Musik": in ihrer herkömmlichen Form war das eine "Musik zum Stillsitzen": Ihre intendierte Rezeptionsform war in der Regel eine öffentliche Versammlung von Menschen, die sich einfanden, um zunächst schweigend, auf Stühlen sitzend, Musik zu hören und anschließend darüber zu reden.
Eine wunderbare Form, um sich konzentriert lauschend in Musik zu vertiefen. Aber Musik kann auf vielerlei mehr Arten erlebt werden: Tanzend, singend, trauernd, lernend, protestierend, meditierend, liebend, forschend... Und sie kann viele gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Ich glaube nicht, dass eine Musik für sich genommen „politisch“ oder „unpolitisch“, „fortschrittlich“ oder „konservativ“, „nützlich“ oder „wertlos“ sein kann. Gesellschaftlich relevant wird Musik erst durch ihren Kontext: Indem sie als Medium für außermusikalische Ziele genutzt oder missbraucht wird. Oder indem in ihrem Vollzug, in einer bestimmten Form des gemeinsamen Musikmachen, exemplarisch politisches Handeln durchexerziert wird.
Selbstverortung in der Gebrauchsmusik
Von vielen dieser Erlebnisformen und außermusikalischen Funktionen hat sich Neue Musik im 20. Jahrhundert sehr lange ferngehalten. Dafür gab es, gerade in Deutschland, gute historische Gründe. So galt unter „ernsthaften“ Komponisten Filmmusik jahrzehntelang als anrüchig (wenn nicht gar gefährlich), Schulmusik als regressiv, Kirchenmusik als affirmativ: Wer nicht für den Konzertsaal schrieb, lief schnell Gefahr, als unseriös zu gelten.
Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts gehört diese tabuisierende Nachkriegsästhetik weitgehend der Vergangenheit an. "Pädagogische Musik" ist heute, anders als in früheren Jahrzehnten, für niemanden mehr ein Schimpfwort. Das Einbeziehen visueller Elemente ins Komponieren ist ebenso zur Selbstverständlichkeit geworden, wie die Auseinandersetzung mit bestehenden Religionen oder eigenen Privatmythologien.
Doch unterschwellig wirken die alten Raster, wirkt das alte Autonomiedenken noch immer nach: "Gebrauchsmusik" bezeichnet noch immer eine Musik zweiter Klasse. Dem möchte ich mit meiner bewussten Verortung in diesem Arbeitsfeld entgegenwirken.